An der linken Hand hat Eddie vier Gelenke mehr als an der rechten. Er hat illegale Waffen verkauft und derjenige, der mit den Waffen geschnappt wurde, bekam 15 Jahre Knast. Seine Freunde haben dem Waffenhändler die Hand in eine Schublade gesteckt, einer von ihnen trat dann die Schublade zu. „Hat scheißwehgetan“, erinnert sich Eddie. Nach dieser Eröffnungssequenz weiß man gleich, was auf dem Spiel steht in George V. Higgins legendärem Roman „Die Freunde von Eddie Coyle“. Das Buch erlangte nicht zuletzt Berühmtheit, weil Robert Mitchum in der Verfilmung von Peter Yates einen unvergesslich melancholischen Eddie „Fingers“ spielte.
Toller Film, aber der Roman bewegt sich auf einer anderen Tonlage. Er ist schneller, brutaler und vor allem überraschender in seiner Konzeption, als die aktuelle Übersetzung von Dirk van Gunsteren zeigt, die jetzt im Verlag Antje Kunstmann in Angriff genommen wurde. Dort beginnt man mit einer neuen Präsentation das Werks von George V. Higgins, der 1939 in Massachusetts geboren wurde und als Staatsanwalt in Boston arbeitete. Genau die richtige Entscheidung, denn Higgins, der 1999 starb, besaß ganz eigene Talente. Zwar entstand „Eddie Coyle“ 1971, aber der Sound des Romans klingt so frisch, dass man immer wieder überrascht ist vom Humor, der Coolness und den cleveren Winkelzügen, die seiner Handlung stets einen überraschenden Dreh verleihen, bis das Ganze dann in einem erstaunlichen Finale mündet. Bei Higgins bestehen die Kapitel aus Dialogen. Es wird fast ununterbrochen geredet. Allerdings immer so pointiert, dass die Story Drive bekommt und der nächste Coup schon gleich mitgeliefert wird. Das Kino von Scorsese oder Tarantino zeigt sich unübersehbar inspiriert von der stets drängenden Konversation, die Higgins seinen Gangstern in den Mund legt. Im Übrigen würde man sich wünschen, im Theater so lebenskluge, abgebrühte Dialoge vorgesetzt zu bekommen, wie Higgins sie einen nach dem anderen für seinen Szenenreigen schrieb. Die Sprache von Polizisten, Gaunern und ihren schönen Frauen klingt schnörkellos konkret und enthält dennoch ein untergründiges psychologisches Moment.
Eddie Coyle ist in eine verzwickte Situation geraten. Denn er wandert in den Bau, wenn er nicht ein paar satte Informationen über seine Verbrecher-Kollegen an die Polizei liefert. Coyle bleibt aber nicht die einzige tragende Figur des Romans. Auch Jackie Brown, der Waffenhändler, lebt immer in der Gefahr, kassiert zu werden. Jimmy Scalisi, der Mafiosi, legt im Hintergrund die Weichen, bis einer seiner Handlanger einen Fehler macht. Und Jimmys Freundin, eine Stewardess, lässt nicht ungestraft Ohrfeigen geben. Dillon, der Barbesitzer, wird noch einmal als Killer arbeiten müssen und die Männer von der Kriminalpolizei in Boston kommentieren das Geschehen auf der Straße mit einer Kaltschnäuzigkeit, die auffallende Ähnlichkeit mit dem Jargon der Gangster besitzt. Bei Higgins gibt es kein Gut und Böse, sondern nur eine schmutzige sehr vitale Realität, die sich immer wieder zu überraschenden Situationen verschränkt und deshalb die Klischees des Genres souverän hinter sich lässt.
George V. Higgins: Die Freunde von Eddie Coyle | Aus dem Englischen von Dirk van Gunsteren | Verlag Antje Kunstmann | 192 Seiten | 14,95 €
Hat Ihnen dieser Beitrag gefallen? Als unabhängiges und kostenloses Medium sind wir auf die Unterstützung unserer Leserinnen und Leser angewiesen. Wenn Sie uns und unsere Arbeit finanziell mit einem freiwilligen Betrag unterstützen möchten, dann erfahren Sie über den nebenstehenden Button mehr.
Ein Land zwischen Afrika und Europa
Deon Meyer gibt uns Einblick in die südafrikanische Gesellschaft – Krimi 12/15
Der Kommissar und die schlafenden Schönen
Ein Kriminalroman nicht nur für den Sommer – Krimi 08/15
Wenn die Nylons rascheln
Mit Parker wird der Krimi-Held zum Verbrecher – Krimi 03/15
Erde, Blut, Liebe und Gewalt
Der Waliser Cynan Jones erzählt von einer gnadenlosen Jagd – Krimi 02/15
Die furchterregende Ms. Highsmith
Joan Schenkars Biographie über Patricia Highsmith – Krimi 02/15
Schöne Bilder, knorrige Männer, coole Frauen
James Lee Burke ist der Epiker unter den Krimi-Autoren – Krimi 01/15
Verbrechen im Indianerland
Louise Erdrich überzeugt mit Familientragödie – Krimi 08/14
Blutiger Hochzeitstag
Gillian Flynn erzählt „Gone Girl“ aus zwei Perspektiven – Krimi 07/14
Sympathischer Bärbeiß
Friedrich Glausers Kriminalromane in einem Band – Krimi 06/14
Wer profitiert von den Verbrechen?
Rafael Chirbes liefert mit „Am Ufer“ ein fulminantes Alterswerk – Krimi 05/15
Lebenssattes Panorama
Daniel Woodrells großartig erzählte Rekonstruktion einer Tragödie – Krimi 04/14
Glorreiche Klassiker
Können die großen Namen der Krimi-Literatur noch bestehen? – Krimi 07/13
Grenzen überwinden
„Frieda, Nikki und die Grenzkuh“ von Uticha Marmon – Vorlesung 04/24
Verblassende Wirklichkeit
Die Wuppertaler Literatur Biennale – Festival 04/24
Female (Comic-)Future
Comics mit widerspenstigen Frauenfiguren – ComicKultur 04/24
Erwachsen werden
„Paare: Eine Liebesgeschichte“ von Maggie Millner – Textwelten 04/24
Wortspielspaß und Sprachsensibilität
Rebecca Guggers und Simon Röthlisbergers „Der Wortschatz“ – Vorlesung 03/24
Lebensfreunde wiederfinden
„Ich mach dich froh!“ von Corrinne Averiss und Isabelle Follath – Vorlesung 03/24
Das alles ist uns ganz nah
„Spur und Abweg“ von Kurt Tallert – Textwelten 03/24
Spurensuche
Comics zwischen Wirklichkeit, Fantasie und Spektakel – ComicKultur 03/24
Wut ist gut
„Warum ich Feministin bin“ von Chimamanda Ngozi Adichie – Vorlesung 03/24
Unschuldig bis zum Beweis der Schuld
„Der war’s“ von Juli Zeh und Elisa Hoven – Vorlesung 02/24
Das Drama der Frau um die 50
„So wie du mich willst“ von Camille Laurens – Textwelten 02/24
Gertrude, Celeste und all die anderen
Progressive Frauen in Comics – ComicKultur 02/24
Sprachen der Liebe
„So sagt man: Ich liebe dich“ von Marilyn Singer und Alette Straathof – Vorlesung 02/24