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Autorin: Gillian Flynn
Foto: Heidi Jo Brady

Blutiger Hochzeitstag

30. Juni 2014

Gillian Flynn erzählt „Gone Girl“ aus zwei Perspektiven – Krimi 07/14

Ein Buch, das sich über Monate auf dem 1. Platz der Bestenliste der New York Times behaupten kann und dabei drei Millionen verkaufte Exemplare einfährt, muss einfach gut sein. Letzte Zweifel werden mit den Zitaten von den Meistern der Spannungsliteratur wie Tara French oder Stephen King ausgeräumt, die von schierer Begeisterung künden. Wer also zu Gillian Flynns drittem Roman „Gone Girl“ greift, kauft den Erfolg. Im Untertitel trägt der Roman den Hinweis „Das perfekte Opfer“. Damit wäre eigentlich schon das Urteil über Amy Dunnes Schicksal gesprochen. Verschwindet sie doch an ihrem 5. Hochzeitstag fast spurlos. Immerhin stellt die Polizei fest, dass Amy in der Küche einiges Blut verloren haben muss und offenbar jemand versucht hat, dieses Blut fortzuwischen.

Der Verdacht fällt auf den Ehemann, zunächst noch vorsichtig, dann immer unverhohlener, zumal sich Nick Dunne im Licht des Medieninteresses ungeschickt verhält. Uns wird die Geschichte hingegen von zwei Stimmen erzählt. Nick muss noch verkraften, dass er in New York seine Stelle als Redakteur verloren hat. Er war derjenige, für den die beiden in New York ihre Zelte abbrachen und ins ländliche Missouri zogen, wo Nicks Mutter krebskrank im Sterben lag. Mit seiner Schwester betrieb Nick dann eine von Amys Geld gekaufte Bar, während sich Amy, die quicklebendige Intellektuelle, die sich als Autorin einer Romanserie für Mädchen eine goldene Nase verdient hatte, von New York nur schweren Herzens trennen konnte. In der Provinz fühlt sie sich wie ein Fisch auf dem Land.

Amys Stimme dringt in Tagebucheintragungen zu uns. Diese erste Hälfte des Romans ist stark geschrieben. Man glaubt Amy sofort, dass sie sich in Nick, den charming Boy, verliebt hat. Diese Amy besitzt die Konturen einer eigenwilligen Frau, die eine Ehe nach anderen als den üblichen Regeln führen will. Sie möchte Nick nicht kontrollierend auf den Füßen stehen und ist nach einem Streit großzügig zur Versöhnung bereit. Nick kommt einem hingegen ein wenig seltsam vor, irgendwie nicht so ganz erwachsen geworden, droht er manchmal gewalttätig aus der Rolle zu fallen, wenn Frust und Minderwertigkeitsgefühle an ihm nagen.

Gillian Flynn hat mit „Gone Girl“ einen vielversprechenden Anlauf genommen, um das fein gezeichnete Psychogramm einer gar nicht so schlechten Ehe zu zeichnen, die offenbar trotzdem in die Katastrophe geschlittert ist. Oder kommt doch ein Außenstehender als Täter in Frage? Im zweiten Teil des Romans verfliegt der Charme der Protagonisten. Amy zeigt das zweite Gesicht einer Psychopathin, während Nick immer tiefer in den Morast vermeintlicher Schuld sinkt. Die Patina des atmosphärisch klug angelegten Beginns gibt Gillian Flynn für eine dramaturgische Volte auf. Nun folgt sie nicht mehr dem Charakter ihrer Figuren, sondern benutzt sie wie Schachfiguren, die man auf dem Brett verschiebt, um Nick – den König – in die Enge zu treiben und dem Roman so eine scheinbar überraschende Wendung zu verleihen. Der Erfolg des Marketings, der sich schon bei Flynns ersten beiden Romanen „Cry Baby“ und „Dark Places“ einstellte, deckt sich nicht mit der literarischen Qualität. Dass die spannende Ehegeschichte dramaturgisch Schiffbruch erleidet, ist auch deshalb schade, weil Gillian Flynn Talent für die Entwicklung von Figuren zeigt. Über zehn Jahre hinweg hat sie ihr Geld als TV-Kritikerin verdient, umso verwunderlicher, dass sie die gleichen dramaturgischen Fehler macht, die auch vielen Fernsehproduktionen die Klasse raubt, um auf der großen Leinwand bestehen zu können.

Gillian Flynn: Gone Girl – Das perfekte Opfer | FISCHER Scherz | 592 S. | 16,99 €

Thomas Linden

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