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Eine Folge von Zeichnungen

28. März 2013

Zeichnungen von Ulrich Rückriem im Kunstmuseum Baden in Solingen – Wupperkunst 04/13

Ist es ein Nebenschauplatz oder ein Kernthema des berühmten Bildhauers Ulrich Rückriem? In der unteren Ebene des Kunstmuseums Baden in Solingen zieht sich eine Werkgruppe neuerer Zeichnungen als lineares Band durch den gesamten Raum: auf Augenhöhe und mit einheitlichen Abständen. Jede dieser Arbeiten beruht auf den gleichen Maßnahmen. Sieben transparente Papiere liegen deckend übereinander. Rückriem hat zunächst auf jedem Blatt mit dem Bleistift ohne nachzudenken einen Punkt gesetzt und anschließend auf einzelnen Blättern die (durchscheinenden) Punkte mit Linien verbunden. Diese hat er dann teilweise zu Dreiecken erweitert, die er rot, blau, gelb oder schwarz geschlossen hat. Daraus ergeben sich unendlich viele Konstellationen, ganz lapidar, sehr spielerisch und doch genau, sehr reduziert und vielleicht konzeptuell. Zusammenfügung und Trennung, Handschriftlichkeit auf der Fläche und der Umgang mit dem Realraum sind Prinzipien dieser Zeichnungen, in die man sich ausgiebig vertiefen kann. Oder man kann sie schnell mit den Augen streifen, dabei in einheitlichem Tempo an ihnen vorbeilaufen – ja, so wäre es Ulrich Rückriem recht: dass der Betrachter eine quasi meditative Haltung einnimmt, so wie er sie selbst beim Zeichnen erreicht hat.

Orte für Skulpturen

Auch wenn er Zeichnungen bereits – und zwar als autonomes Medium – seit den 1970er Jahren anfertigt, bekannt ist Ulrich Rückriem für seine Steinskulpturen. Mit ihnen hat er den Deutschen Pavillon auf der Biennale in Venedig bespielt und wurde viermal zur Documenta in Kassel eingeladen. 1992 besaß er dort das Privileg, seine Skulpturen an einem externen Ort zu zeigen, in einer Halle in Essen.

Geht es nach Ulrich Rückriem, so bedingen seine Skulpturen ohnehin ihren eigenen Platz, an dem sie für immer stehen. Die Entleihe für temporäre Großausstellungen ist ein Zugeständnis, welches der Freundlichkeit und dem Ausstellungsbetrieb geschuldet ist. Er selbst hat schon 1994 in Sinsteden bei Rommerskirchen eine eigene Skulpturenhalle eingerichtet. Die Präsentation dort – sparsam, punktuell und auf die Achsen der Gebäude bezogen – ist maßstäblich. „Wenn man nur einen Stein verändert, fällt der Raum zusammen“, sagt Ulrich Rückriem. Jede Skulptur ist von Weitläufigkeit umgeben, die Bewegung des Betrachters mit der Sicht auf den Stein wird zum Teil der Arbeit. In Sinsteden demonstriert Rückriem verschiedene Formen der skulpturalen Positionierung, das Liegen, das Lehnen und das Stehen, mit den unterschiedlichen Bearbeitungsformen des Steins wie etwa den regelmäßigen Bohrungen, den Kerben des Meißels oder den geschliffenen und polierten Innenfeldern: In aller beharrlichen Konzentration auf den Stein – vornehmlich Dolomit, Schiefer und Granit – hat er in vier Jahrzehnten ein Repertoire an Möglichkeiten der Bearbeitung und der Trennung entwickelt, aus dem heraus er zu immer neuen Formulierungen gekommen ist. Die faktische und sinnliche Präsenz wird durch die Rauheit des Steines unterstrichen, durch die Spuren und Schichten der Verwitterung als Sichtbarkeit des Alters, das trotzdem unvorstellbar bleibt. Meist bestehen die Steine aus mehreren Teilen, sie wurden nach der Trennung wieder passgenau zusammengesetzt oder eben auseinandergerückt. Die enormen Kräfte, die Masse und das Gewicht – all das ist spürbar und kommt doch ganz unprätentiös daher.

Ein Verschwinden der Kunst

Es gibt, neben Sinsteden, auch den leeren Ort, The Barn bei Clonegal in der Nähe von Dublin, dort wo Rückriem, der heute zwischen London und Köln pendelt, lange gelebt hat. Eine freie, hallenartige Architektur mit einer genauen Lichtchoreographie und sich gegenüber liegenden, monochrom gestrichenen Türen – die Leere und die Bewegung interessieren Ulrich Rückriem seit einigen Jahren auch als meditative, von fernöstlichem Denken geprägte Erfahrung. Hier hat Rückriem vielleicht am radikalsten umgesetzt, was ihn auch bei den Zeichnungen so interessiert: ein Verschwinden der Kunst. Als Selbstverständlichkeit, die den Betrachter auf sich und seine Körperlichkeit zurückwirft. Ihn sich bewusst werden und doch vergessen lässt.

Ulrich Rückriem wurde 1938 in Düsseldorf geboren. Er hat eine Steinmetz-Lehre in Düren absolviert und war im Anschluss daran Geselle an der Dombauhütte in Köln; gleichzeitig hat er an den dortigen Werkschulen studiert. Vorbereitet durch Arbeiten mit Holzbalken und Stahlringen entstehen 1968 seine ersten Steinskulpturen, rein als Material aus dem Steinbruch, das er dort abgesprengt und abgeschlagen hat. Der Steinbruch sei „Muse, Atelier und Drehscheibe der weltweit expandierenden Aktivitäten des Künstlers“, hat Laszlo Glozer geschrieben. Sehr schnell hat Rückriem damit Erfolg im Ausstellungsbetrieb, so stellt er schon bald in der Galerie von Konrad Fischer in Düsseldorf aus. Mit seinen Skulpturen berührt er die damals gefeierte Kunstströmung der (konzeptuell orientierten) Minimal Art. Und doch, seine Arbeiten bleiben Bildhauerei, sie sind handfest, unverrückbar und widerständig und im Übrigen der Schwerkraft verpflichtet. Sein Verhältnis zum Stein sei pragmatisch, ergänzt Ulrich Rückriem, der aber doch großen Respekt vor der Geschichtlichkeit hat. Seine bildhauerischen Maßnahmen nehmen sich demgegenüber zurück, sie fügen sich, sichtbar als Prozess, ein. Und was die Zeichnungen betrifft: Hier legt Rückriem erst recht auf das Unprätentiöse wert, auf ein Selbstverständnis, das den fertigen Arbeiten ihre Wichtigkeit nehmen soll, oder, zugespitzt formuliert: Eigentlich könne das jeder machen.

„Ulrich Rückriem, Punkt – Linie zu Fläche“ I bis 7.4. I Kunstmuseum Solingen, Wuppertaler Straße 160, Solingen-Gräfrath I www.museum-baden.de
Außerdem ist Rückriem beteiligt bei: „Die Bildhauer“ I bis 28. Juli I Kunstsammlung NRW, K20, Grabbeplatz Düsseldorf

THOMAS HIRSCH

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