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Das Familientrio und der Engel
Foto: Diana Küster

Engel im Kiosk

27. März 2014

Laura Naumann am Schauspielhaus Bochum – Theater in NRW 04/14

Die Wendejahrgänge kommen. Laura Naumann, 1989 geboren, gehört derzeit zu den vielversprechendsten jungen Autorinnen ihrer Generation. Ausgebildet an der Universität Hildesheim in den Fächern Kreatives Schreiben und Kulturjournalismus hat die gebürtige Leipzigerin nicht nur bereits fünf Stücke vorgelegt, sie ist zudem Mitglied der Gruppen machina eX, von der gerade in Düsseldorf „Right of Passage“ zu sehen ist, und eines Performerinnenkollektivs mit dem schönen Namen Henrike Iglesias. Am Schauspielhaus Bochum hatte nun ihr neuestes Stück „Raus aus dem Swimmingpool, rein in mein Haifischbecken“ Premiere.

Während sich Laura Naumann in ihren bisherigen Stücken meist der Protagonisten ihrer Generation und eines temporeichen Sprachstakkatos bedient hat, beschäftigt sie sich nun erstmals mit der Familie. Moana, die in einer Beratungsfirma für Großunternehmen arbeitet und stundenlang in der Badewanne zu entspannen versucht, ist mit ihrem Freund Boris wieder bei ihrer Pflegemutter Christiane eingezogen. Die war einst eine erfolgreiche Kriegsberichterstatterin, bis sie sich zur Nachrichtensprecherin umschulen ließ. In ihr lebt noch der Traum von ´68 und so führt sie mit Moana harte Kämpfe um politisches Engagement, neoliberale Leistungsethik und Erfolgsstreben. In der Emphase ähneln sich beide, im Unglücklichsein auch – bis Nikita auftaucht, ein androgyner Schutzengel, der Moana vor einem Unfall bewahrt, Christiane nach ihrem inszenierten Rauswurf beim Sender Trost spendet und für das Familientrio zur Projektionsfläche wird.

In Malte C. Lachmanns leichter und unangestrengter Uraufführung ist der erste Auftritt Nikitas voller ironischem Pathos: Im vollen Gegenlicht steht diese Epiphanie der Unschuld in weißen Jeans und Shirt plötzlich da. Nikita fegt wie ein guter Flaschengeist in die Landschaft aus drei hölzernen Wohn- und Arbeitswürfeln und einem Sofa auf Rollen (Ausstattung: Udo Herbster), in der Naumanns Figuren wie Sprechmaschinen wirken, die in ihren oft psychologisch unterfütterten Dialogen alles offenbaren, ohne Rest und Geheimnis. Moana (brillant: Sarah Grunert) sitzt auf dem Badewannenrand und hackt in ihren Computer, probiert als Businesssuit drei identische Kostüme an und kann sich nicht entscheiden. Nicola Thomas als Christiane thront in einem TV-Studio aus Kisten für Alkohol, dem sie sich schließlich völlig hingibt. Und Torsten Flassigs Nikita ist ein freundlich-unnahbarer, immer verfügbarer Seelenklöppler. So wie er Moana mit ihren gebrochenen Armen hilft, so hört er sich auf dem Sofa interessiert Christianes Probleme an – und versetzt so den jeweiligen Lebensentwürfen einen Fußtritt. Man denkt an Pasolinis Film „Teorema“, nur dass bei Naumann die Epiphanie nicht gesellschaftliches Engagement in Gang setzt, sondern in verstörte Innerlichkeit und explizites erotisches Interesse mündet: Jeder aus der Familie macht Nikita eine Liebeserklärung. Als der schließlich verschwindet, lümmelt das Trio verstört im Polster: „So liegen wir dann da und sagen nichts, wir sind erschöpft“ – während der Engel ganz irdisch einen Kiosk eröffnet.

„Raus aus dem Swimmingpool, rein in mein Haifischbecken“ | R: Malte C. Lachmann | 13.4. 19 Uhr, 19.4. & 30.4. 20 Uhr | Schauspielhaus Bochum | 0234 33 33 55 55

Hans-Christoph Zimmermann

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