„Die Musik von Moondog ist absolut riesig, auch wenn du keine Drogen konsumiert hast!“ So lautet ein Erfahrungsbericht im unendlichen Web, nichts Ungewöhnliches, trifft aber sehr gut. Seine Klänge sind nicht nur eine Vorahnung auf die Kraft der Minimalmusik, sie sind in ihrer unverstellten Simplizität und Direktheit eindringlich, ihr Kunstanspruch entwächst einem Trieb, einer tief sitzenden Spielfreude. Deshalb wirken Moondogs kleine Kunstwerke wie Pretiosen aus einer sehr alten Zeit. Jetzt werden sie in Köln erneut gehoben.
Ziemlich genau vor vierzig Jahren tauchte in den Fußgängerzonen von Recklinghausen und Münster ein blinder – beim Spielen mit einer Sprengkapsel verlor der 16-jährige Louis Hardin, später bekannt als Moondog, sein Augenlicht – und rauschbärtiger Wikinger in klassischem Ledercape auf, von Hörnerhelm geschützt und mit einem Speer bewaffnet. Ein 19-jähriger Moondog-Fan hatte den in Amerika bereits seit den 40ern respektierten Musiker und Straßenkünstler in sein Fachwerkhaus in die Recklinghäuser Altstadt eingeladen. Moondog hatte musikalische Unterstützung für sein erstes Konzert in Deutschland von Musikern aus Marl erhalten – hier existierte damals das sehr berühmte ungarische Exilorchester „Philharmonia Hungarica“ – und er nahm die Einladung nachhaltig an: Er gründete mit dem jungen Burschen wie damals üblich ganz unkompliziert eine Wohngemeinschaft. Nach zwei Jahren zog Moondog zu Familie Göbel nach Oer-Erkenschwick, denn die haben auch eine Tochter: Ilona wird seine Weggefährtin bis zu seinem Tode 1999, seine Managerin und sein Rückhalt.
Schon in den 40ern baut Moondog sich ein verrücktes Perkussionsinstrument, mit dreieckigen Trommeln, Maraccas und Klanghölzern. Er nennt es Trimba. Seine meist gleichbleibenden komponierten Rhythmen klingen wie akustische Vorwegnahmen von frühen elektronischen Rhythmusmaschinen; es knackt zünftig. Er notiert seine Werke in einer Blindenschrift und richtet sich streng nach der barocken Kontrapunktechnik, führt Gesänge kanonisch und bewahrt die klassisch-tonalen Räume. Vor seiner zeitgreifenden Ruhrpott-Exkursion lebte er mit Philip Glass zusammen und nahm Stücke auf mit Steve Reich. Damals schrieb er auch für Kirchenorgel. Später erfand er eine „pyramidal-symmetrische, numerologisch-esoterische Musiktheorie“. Schon beim erwähnten Konzert Nr. 1 war ein junger deutscher Organist mit dabei, der an der Folkwang Hochschule studierte: Fritz Storfinger, heute pensionierter Musikus, wird sich gern an diese Tage erinnern. Er ist mit dabei in der Kunststation St. Peter, genau der richtigen Bühne für diese kultige und wirklich interessante Begegnung – u.a. auch mit der berüchtigten Trimba. Aus allen Werkphasen greift das vielseitig besetzte Ensemble Beispiele heraus, es wird georgelt, getrommelt, gesungen und mit Obertönen experimentiert: eine reizvolle musikalische Zeitreise!
Moondog | Mi 12.11. 20 Uhr | Kunststation St. Peter | www.reihe-M.de
Ausstellung „Moondogs Candor“ | 7.11.-20.12. | Glasmoog/KHM | glasmoog.khm.de
Hat Ihnen dieser Beitrag gefallen? Als unabhängiges und kostenloses Medium sind wir auf die Unterstützung unserer Leserinnen und Leser angewiesen. Wenn Sie uns und unsere Arbeit finanziell mit einem freiwilligen Betrag unterstützen möchten, dann erfahren Sie über den nebenstehenden Button mehr.
Blickwechsel in der Musikgeschichte
Drei Spezialisten der Alten Musik in der Kölner Philharmonie – Klassik am Rhein 03/24
Spiel mit den Elementen
Alexej Gerassimez & Friends im Konzerthaus Dortmund – Klassik an der Ruhr 03/24
Hellwaches Monheim
Das Rheinstädtchen punktet mit aktueller Kultur – Klassik am Rhein 02/24
Temperamentvoller Sonntag
Bosy Matinée mit Asya Fateyeva und Gemma New in Bochum – Klassik an der Ruhr 02/24
Abenteuerliche Installation
„Die Soldaten“ in der Kölner Philharmonie – Klassik am Rhein 01/24
Keine Grenzen
Philharmonix in Dortmund und Düsseldorf – Klassik an der Ruhr 01/24
„Herrliche Resonantz“
Avi Avital in der Kölner Philharmonie – Klassik am Rhein 12/23
Mit Micky Maus am Dirigierpult
Elim Chan und das Antwerp Symphony Orchestra in Dortmund – Klassik an der Ruhr 12/23
Musik aus drei Jahrhunderten
Quatuor Modigliani in der Philharmonie Köln – Klassik am Rhein 11/23
Mode und Stil
Tage Alter Musik 2023 in Herne – Klassik an der Ruhr 11/23
Dreimal Tusch für Ohnesorg
Der Intendant des Klavierfestivals feiert seinen Abschied – Klassik an der Ruhr 10/23
Aus dem Mekka der Saitenkunst
Die Kronberg Academy im DLF-Kammermusiksaal – Klassik am Rhein 10/23
Ravel-Marathon
Klaus Mäkelä dirigiert im Konzerthaus Dortmund – Klassik an der Ruhr 09/23
Tod und Auferstehung
„Auferstehungssinfonie“ in der Kölner Philharmonie – Klassik am Rhein 09/23
Sagen, Mythen und Legenden
Fel!x-Festival in Köln – Klassik am Rhein 08/23
Monumentales Werk
„Das große Abend- und Morgenlob“ in Dortmund – Klassik an der Ruhr 08/23
Music to go
Eine Operntruppe reist als „Fahrendes Volk“ durchs Land – Klassik an der Ruhr 07/23
Zu den Schumanns nach Bonn
Sommerveranstaltungen des 24. Schumannfests – Klassik am Rhein 07/23
Ruf nach neuer Musik
Ungewöhnliche Soloinstrumente in Duisburg – Klassik an der Ruhr 06/23
Akustische Wunderkammern
Romanischer Sommer in Kölner Kirchen – Klassik am Rhein 06/23
Gefangenenchor pur
„Prisoner of the State“ im Musikforum Ruhr – Klassik an der Ruhr 05/23
Das ganze Leben ist ein Spiel
zamus: early music festival in Köln – Klassik am Rhein 05/23
Blut und Tränen
„Lessons in Love and Violence“ in NRW – Klassik an der Ruhr 04/23
Mann ohne Arg
„Les Béatitudes“ in der Bonner Kreuzkirche – Klassik am Rhein 04/23
Aus grellem Sonnenlicht
Sarah Aristidou in der Kölner Philharmonie – Klassik am Rhein 03/23