Irgendwo in den Innereien eines Theaters liegt dieser wundersame Ort, an dem es meist nach kalten Frikadellen, Bier und Bratendunst riecht, früher auch herrlich nach abgestandenem Qualm. Die Kantine ist meist ein für Normalsterbliche unerreichbarer Ort, für selbsternannte Insider ein schickes Privileg, für Schauspieler ein Arbeitsplatz wie die Bühne oder Probenräume. Hier sitzen sie und warten auf ihren Auftritt, warten auf Godot oder den neuen Regisseur, der mal wieder das bundesdeutsche Theater erneuern will, trotzdem erst mal die kalte Frikadelle und etwas Bier braucht, bevor es losgeht. Diesen herrlichen (Un-)Ort haben sich die beiden Schauspieler Sophie Basse und Lutz Wessel ausgesucht, um noch einmal zu zeigen, wie Theater jenseits des Eisernen wirklich funktioniert – oder eben auch nicht.
Alles beginnt zeitgenössisch korrekt mit einem Video, in dem die beiden die Liebesszene aus Goethes „Kabale und Liebe“ spielen, oh Ferdinand, oh Luise, den Auftakt kennt man. Dass dieses böse Stück über Intrigen die Klammer des Abends werden wird, weiß der Zuschauer natürlich noch nicht. In einem kleinen Glaskasten steigt derweil weißer Rauch auf. Fehlfunktion oder Papstwahl ist mein erster Gedanke. Warten wir es ab. Basse und Wessel kommen auf die Bühne, die ja die Kantine ist, und los geht’s mit der Kollegenwatscherei: „Diese jungen Dinger“ kommen von der Straße auf die Bühne und können nix, wozu haben wir studiert. Wie ist es, 30 Jahre auf denselben Brettern zu stehen, die die Welt bedeuten sollen? Ja wie ist es denn? Werner, mach mal nen Averner (extra schlaffer Running Gag, den der Kantinenwirt sicher tausende Male ...), Alkohol scheint die Sinne nach so langer Zeit zu benebeln, er führt zu Auftrittsfehlern und Hass-Attacken gegen den Hauslautsprecher, der im immer gleichen Tonfall die Mimen auf die Bühne bittet, die Techniker an ihre Bedienpulte und – „danke Frau Basse, der Regieassistent hat ihre Aufgabe übernommen“. So stolzieren und kriechen Basse und Wessel durch die Weltliteratur, kämpfen gegen Regisseure und Rollen, Lady Macbeth mal als Kasperl oder Nazihure, nur die Geister bleiben unsichtbar.
Geister, die einmal gerufen, auch das Theater nicht verschonen, schon gar nicht in Wuppertal, wo man nicht nur ein überzeugendes Ensemble hat, sondern auch einen „künstlerisch wertvollen“ Intendanten hatte. Dessen gute Arbeit scheint nicht mehr gewollt gewesen zu sein, seine Ära endet mit „Gedanken über weite Entfernungen“, seine Regiearbeit bereits mit dem „Verwaiser“ von Beckett. Der Schauspielintendant Christian von Treskow hat in seiner Amtszeit viele Regiehandschriften ins Bergische Land geholt, gleichmäßig anspruchsvolles Theater gemacht und dennoch die Zuneigung des Wuppertaler Amtsschimmels verloren. Das übliche Prozedere fand statt über Auslastung, Kunst und Krempel, das ist an der Wupper nicht anders als in Bochum oder Düsseldorf.
Basse und Wessel ficht das in „Die Unkündbaren“ nicht an, sie qualmen eine Zigarette im winzigen Glaskasten, der wohl doch am Anfang eine Fehlfunktion hatte, sie zitieren mit „Blut ist ein ganz besonderer Saft“ „Mephisto“ und Kinski, zeigen sich im „James Bond“-Trailer und wieder bei der intensiven Szenenarbeit. Werner, schnell noch einen Averner, dann Kollegen abledern, den Ruhm neiden, „Romeo und Julia“ spielen, als Comedy-Deppen versagen, Werner Schwab zitieren und am Schluss als Ferdinand und Luise vergiftet dahinsiechen. Das Schauspielerleben ist kein Zuckerschlecken, sondern harte Arbeit mit Whiskey und Kuchen. Unkündbarkeit? Es war einmal. Am Ende zeigen die beiden noch einmal das wahre Wesen der handelnden Kunstfiguren, als Pferd, das Mühe hat, auf die Bühne zu gelangen. Alles Gute zur letzten Vorstellung. Über die Wupper. Man sieht sich ja wieder. Irgendwo. Und wenn es in der ehemaligen Bundeshauptstadt ist.
„Die Unkündbaren“ I Fr 28.6. 20 Uhr I Kleines Schauspielhaus Wuppertal (zum allerletzten Mal) I 0202 563 76 66
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