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Graham Valentine
Foto: Hyou Vielz

Pepys Welt

26. März 2015

Musik und Text entwerfen ein Sittengemälde Londons – Klassik am Rhein 04/15

Architektur und Musik beseelen sich, Alte Musik in mittelalterlichen Museumsräumen, im Blick die Artefakte, im Ohr die einfache Holzflöte und eine Fiedel, das ist einfach cool. In der Kölner Philharmonie lassen sich solche kooperierenden Zauberwelten natürlich nicht herstellen. Jetzt zeigen uns Freiburger Musiker, wie ein Text Brücke zwischen Musik und Zeit bilden kann. Der charismatische Schotte Graham F. Valentine liest in seiner sehr speziellen Art in den geheimen Tagebüchern des Samuel Pepys, einem Schatz, der rund zweihundert Jahre in einer Bibliothek schlummerte und nach seiner Entdeckung und seiner Sichtung bzw. Dechiffrierung als einzigartiges Chronistenwerk für das Jahrzehnt 1660/70 in London stürmisch begrüßt wurde. Nicht, dass niemand etwas aus dieser Zeit berichtet hätte – aber Pepys nennt jedes Kind beim Namen. Er widmet sich sowohl dem quersitzenden Furz und seiner wahrscheinlichen Herkunft, dem recht konkreten Spiel mit den Damen und Angestellten als auch den markantesten Bürgerthemen dieses Jahrzehnts, dem Londoner Brand und der Pest.

„Anschließend alle im King´s Theatre A Midsummer Night´s Dream gesehen, das ich noch nicht kannte und gewiss kein zweites Mal sehen werde, da ich mein Lebtag noch kein so abgeschmacktes und läppisches Stück gesehen habe. Immerhin gab es zwischendurch ein paar gute Tänze und einige hübsche Frauen, an denen ich mich erfreuen konnte.“ So rechnet Pepys mit dem Phantom Shakespeare ab. Als unterhaltsamer empfindet er, wenn in der Bärenarena Stiere Hunde durch die Luft wirbeln, „einen sogar bis in die Zuschauerloge. Dennoch ist es ein sehr rohes und widerliches Spektakel.“ Pepys verfügt über Geist und ungestillte Neugier am Alltäglichen. Er interessiert sich für nautische Fragen und Naturereignisse genauso intensiv wie für seine Darmwinde. Er teilt alles mit, unverhohlen und ohne Blick auf die Zukunft dieses Tagebuchs – es sollten ja keine Essais à la Montaigne werden.

Musikalisch regierten zu Pepys Zeiten an der Themse die Consort-Musiken, Kleinbesetzungen, die sich in Whole- und Broken-Consort unterteilten – letztere verwendeten gemischte Instrumentierungen. Das Freiburger BarockConsort, eine Unterabteilung des Freiburger Barockorchesters, setzt auf den Gemischtwarenladen, um den oft deftigen Texten musikalisch und stimmungsgerecht Paroli zu bieten. Auch Pepys tanzte gern, er sang auswendig und spielte die Gambe. Graham F. Valentine, als Schauspieler ein Urmitglied der „Marthaler-Familie“, benutzt seine Stimme auch nicht nur zum Sprechen. Er kann geräuschhaft die Welt beunruhigen. Und deshalb ist er der richtige Mann, um private Selbstgeständnisse und mehrsprachig verschleierte amouröse Abenteuer aus einem geheimen Tagebuch vollmundig auf die Bühne zu stellen. Pepys lässt kein Thema aus, auch nicht die Mode für die Dame, wie ihm Lady Sandwich bei Hofe verriet: „Nämlich kurze Röcke bis zu den Knöcheln!“ Revolutionäre Zeiten waren das.

Freiburger BarockConsort und Graham F. Valentine | 22.4. 20 Uhr | Kölner Philharmonie | www.koelner-philharmonie.de

Olaf Weiden

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