Das gleichmäßige Klacken lässt an Webstühle denken. Das Atelier auf einem Hofgrundstück in Elberfeld erinnert an eine Werkstatt mit traditioneller Manufaktur. Andererseits sind mehrere Computer angeschaltet, über deren Monitore endlose Reihen von Zahlen rauschen. Die Produktion im Atelier von Holger Bär ist in vollem Gange, alle drei Mal-Maschinen sind in Betrieb. In der Ausstellung, die er gemeinsam mit Peter Schmersal in Solingen durchführt, zeigt Bär seine neueste Werkgruppe, die von Zahlen und Ziffern handelt: mit ihren verschiedenen Konnotationen von Volkszählung, staatlicher Überwachung, enormer Datenmenge für wissenschaftliche Experimente und als Identifikations- und Telefonnummer. Im Grunde ist das künstlerische Verfahren bei dieser Werkgruppe tautologisch: Holger Bärs Mal-Maschinen basieren auf der Codierung von Farben durch Zahlen. Hier nun stellen sie das undurchsichtige „Funktionieren“ von Zahlenmengen dar. Dies führt zu völlig abstrakten Farbansammlungen, die mitunter Ruhe ausstrahlen und mitunter flirrendes Chaos demonstrieren. Eines der Bilder zeigt in seinem Zentrum eine „Cloud“: Ausdruck für einen permanenten Strom aller Informationen, die dadurch ihre Privatheit verlieren. Ob die Vorstellung einer Wolke nicht ein Wohlgefühl suggeriere, ja, der Begriff ein Euphemismus sei, fragt Holger Bär im Gespräch. Die monumentalen realistischen Bilder wiederum zeigen das Atlas-Gebäude im CERN und das Statistische Bundesamt. Aus der Nähe lösen sich die Motive in Farbpunkte auf: in eine sorgfältig aufgetragene Substanz in einzelnen Farbtönen.
Vor ein paar Jahren hat Holger Bär das Verfahren des Auftrags vom linearen Pinselstrich auf pointillistische Tropfen umgestellt. Dazu setzt eine Düse an einer Achse die Farbe Punkt für Punkt, Zeile für Zeile auf die plan aufgespannte Leinwand. Erst die eine Farbe, dann die andere Farbe, wobei Bär die Anzahl der Farben von Bild zu Bild wechselt. Mit der Vielzahl der Entscheidungen, die er beginnend mit der Auswahl des Motivs und der Größe der Leinwand trifft, wird deutlich, wie sehr er doch Maler bleibt. Und er thematisiert explizit den Prozess der Bildentstehung – das hat er mit Peter Schmersal gemeinsam, der, im Wechsel mit Berlin, ebenfalls in Wuppertal lebt. Vor knapp drei Jahrzehnten hatten beide im gleichen Haus in der Hofaue ihr Atelier, bevor Holger Bär den Pinsel zur Seite legte und, seit nunmehr 25 Jahren, die Realisation an Roboter und Maschinen delegierte.
Im Atelier von Peter Schmersal an der Oranienstraße in Kreuzberg scheint die Zeit stillzustehen. Die Farben sind zur Seite geräumt, die Leinwände lehnen über- und nebeneinander, häufig Hochformate, welche die Konstitution des Menschen aufnehmen. Dieser gehört zu Schmersals vorrangigen Sujets. Auf etlichen Gemälden steht, hockt, sitzt ein Mann in einem offenen Raum in demonstrativer physischer Präsenz. Die Figur ist präzise realistisch erfasst, der Kopf oft in der Abbreviatur notiert. Mit seiner gemäßigt expressiven Malerei vermeidet Schmersal jede Ablenkung vom Wesentlichen. Hingegen setzt er bei seinem zweiten derzeit dominierenden Genre die Farbe opulent, bei seinen Paraphrasen nach der Kunstgeschichte. Er rekapituliert einzelne Meisterwerke, ohne sich deren Duktus unterzuordnen. Er zieht energisch den Pinselstrich, wobei die Farbmaterie als Form pastos stehen bleibt. Wo sich die Bilder von Holger Bär aus der Nähe auflösen, komprimieren sich die Motive bei Schmersal. Gemeinsam aber ist die radikale Auseinandersetzung mit dem Realismus und mit Farbe als Material. Was in Solingen zunächst wie ein zufälliges Nebeneinander unterschiedlicher Temperamente wirken mag, trägt dazu bei, das Einzigartige von Malerei zu begreifen.
„Holger Bär und Peter Schmersal: Malerei“ | bis 12.4. | Kunstmuseum Solingen | 0212 25 81 40
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