Rund um den heiligen Festtag soll der Himmel nicht voller Geigen, sondern watteweicher Wölkchen hängen, aus denen leise der Schnee rieselt. Dass diese Wettervoraussetzung ebenso dummes Zeug ist, wie das ein Weihnachtsmann das logistische Kunststück vollbringen könnte, bei zig Millionen Haushalten zur gleichen Zeit zu sein, gehört zu den schönsten Irrtümern, mit denen wir uns das Leben an Weihnachten rätselhaft gestalten. Auch der familiäre Frieden ist ein Thema für sich. Wer mehr darüber erfahren will und sich gleichzeitig gut amüsieren will, der begebe sich ins Theater. „Oh Tannengrau’n“ heißt es beispielsweise im TalTonTheater.Die Weihnachtsrevue ist eine heiter-ironische Attacke auf verschiedene Klischees der altbekannten Weihnachtsgeschichte. Maria ist hier eine unglückliche Supermarktverkäuferin, die nicht bloß nervige Kunden, sondern die plumpen Vertrautheiten ihres Chefs Augustus ertragen muss. Ehemann Josef kann sie nirgendwo finden, gedanklich ist der aber eh am Ende, denn ihm wurde der Job gekündigt. Drama, viel Musik und Show, dass am Ende alles gut ausgeht, ist irgendwie dem – na klar, wem sonst?! – Mann in Rot zu verdanken.
Auch die Improvisateure der Formation Die Springmaus sind auf Weihnachten vorbereitet. Was sie wirklich auf der Bühne treiben, ist vorweg nie genau zu sagen, denn das Besondere ihrer Auftritte liegt ja immer in der Spontanität, die sich auf Stichworte aus dem Publikum bezieht. Grob geht es um jene drei alten Männer, die vor inzwischen weit über 2000 Jahren ungewöhnliche Reisestrapazen in Kauf nahmen, nur um einem Stern zu folgen. Sicher hätten Kaspar, Melchior und Balthasar sich über den Komfort eines Sitzplatzes im ICE gefreut, wenn dessen Lokführer nicht in eigener Sache gerade an anderer Stelle hätte kämpfen müssen, hätten dann aber voraussichtlich die Geburt Jesu Christi verpasst. So aber durchquerten sie in klimatechnisch ausfallsicheren Roben und auf garantiert CO2-neutralen Kamelen die Länder, um dem Beginn einer tollen Geschichte einer auf wundersame Weise geschwängerten Jungfrau, einem Mann, der von nichts wusste, und allerlei Zauber beizuwohnen.
Eine „Weihnachtsrevue, nach der Sie einpacken können“, präsentiert das Live Club Barmen im Haus der Jugend. Thomas Koch und seine Mitstreiter versprechen mit ihrem Programm „Akte X-Mas“ alles andere als eine stille Nacht, heilig wird es wohl auch nicht werden. Eher wird so etwas wie die echte, einzige und ungeschönte Wahrheit über den als Familienfeier deklarierten, oft zum Konsumterror verkommenen Termin erzählt. Auch als Clash der Generationen, denn früher war nicht nur mehr Lametta. Früher war auch mehr Ringelnatz und Tucholsky. Es ist ein Abend zwischen Besinnlichkeit und Katastrophe, zwischen Festlichkeit und Zynismus. Das wird gleich zu Anfang klar, wenn die Verse „Erwartung der Weihnacht“ von Otto Ernst auf Dackelchaos im herrlich nüchternen Gedicht „Heiligabend“ treffen. Auch musikalisch greift das Ensemble gern zu Außergewöhnlichem, etwa zu einer Bukowski-Vertonung oder zu Tom Waits’ „Christmas Card From a Hooker in Minneapolis“, einer gelungenen Mischung aus weihnachtlichem Zauber und weltlicher Desillusion.
„Oh Tannengrau’n“ | 5.12. 20 Uhr | TalTonTheater | 0221 27 40 00
„Merry Christmaus - Wir sind Weihnachten“ | 11.12. 20 Uhr | Alte Drahtzieherei | 0221 78 87 22 44
„Akte X-Mas“ | Haus der Jugend LCB Barmen | 17.12. 20 Uhr | www.liveclub-barmen.de
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