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James Lee Burke
Foto: Frank Veronsky

Schöne Bilder, knorrige Männer, coole Frauen

08. Januar 2015

James Lee Burke ist der Epiker unter den Krimi-Autoren – Krimi 01/15

Es gibt Romane, die lesen sich wie großes Kino. James Lee Burkes knapp 700-seitiges Opus „Regengötter“ ist so ein Prachtstück, das nach einem Breitwandformat verlangt. Die Hitze, die im texanischen Süden über den sanft geschwungenen Hügelkuppen liegt, ist hier ebenso fotogen wie der attraktiv alternde Sheriff Hackberry Holland oder sein weiblicher Deputy, eine herbe Schönheit, die Gangstern kompromisslos die Stirn zeigt. Frauen stellen auf den Roman-Panoramen von James Lee Burke eine Art emotionale Grundierung dar, vor der die Männer ihre „Heldentaten“ als Gauner oder Good Guys vollbringen. In ihrer Entschlossenheit agieren sie furchtlos. Da kommt es dann schon einmal vor, dass eine Ehefrau in ihrem Zorn einen Killer mit dem Kochtopf – weil gerade nichts anderes zur Hand ist – in die Flucht schlägt. Die Männer sind hingegen auf die eine oder andere Weise von Sorge oder Angst gezeichnet, wobei ihre innere Gebrochenheit sie letztlich adelt, denn wer die nicht kennt, gehört in Burkes Universum zum Rest der bizarren männlichen Psychopathen.

Auf das Konto der Auftragskiller geht denn auch die Ermordung von neun Chinesinnen hinter der Kirche von Chapala Crossing. Die Leichen der jungen Frauen, die Beutelweise Heroin schlucken mussten, das über die mexikanische Grenze geschmuggelt wurde, liegen unter der flüchtig aufgeschütteten Erde. Ein ehemaliger Soldat gibt Hackberry den entscheidenden Tipp, und schon wirbelt ein Sturm der Gewalt zwischen Polizei, FBI, Profikillern und russischen Mega-Gangstern die staubigen texanischen Ebenen auf. Zu Burkes Werkprofil gehört eine illusionslose Zustandsbeschreibung der amerikanischen Gesellschaft, die nicht erst in der Gegenwart ansetzt, sondern bis zur Schlacht um Fort Alamo zurückreicht. Zugleich ist der Mann aus Louisiana aber auch ein unverbesserlicher Romantiker, der die Substanz seiner Geschichten aus den Beziehungen zwischen Männern und Frauen schöpft.

Zwischen Paaren, die als Cops arbeiten, als junge Streuner vor der Welt fliehen oder als Eheleute im Sumpf der Prostitution ihr Überleben organisieren, immer gibt es da so etwas wie Liebe, an das Burke noch glaubt. Dieser Anflug von Sentimentalität ist nicht klebrig, eher melancholisch, er gibt seinen Stories genau jene Priese Herzschmerz, die einen an die Seiten dieser stattlichen Wälzer fesselt, zu denen sich Burkes Romane stets auswachsen.

Der Amerikaner beherrscht allerdings auch die Choreografien der Gewalt. Im Stil eines Sam Peckinpah inszeniert er fast in Zeitlupe eine virtuose Schießerei in einem Diner. Die Details greifen ineinander, so dass man unweigerlich in die Abläufe der Action-Sequenzen hineingezogen wird. Dann lässt es Burke wieder gemächlich angehen, aber die Atmosphäre seiner Schauplätze stellt sich sofort her und die Dialoge seiner Killer sind perfekt auf den Punkt gebracht. Man fragt sich unweigerlich, warum hat Tarantino eigentlich noch keinen Burke-Roman verfilmt? Die „Regengötter“ eignen sich gut, um Burke-Fan zu werden. Hier ist alles drin, ein Sheriff, der sich nichts von den Klugscheißern des FBI erzählen lässt, die mörderische Hitze, die der Geschichte ihre unverwechselbare Patina verleiht, ein Killer, der mit eigenen Dämonen zu kämpfen hat, und immer wieder die Frauen, deren Auftritte dem Roman seine Substanz verleihen. Hoffentlich schreibt Burke mit seinen 78 Jahren noch ein paar solcher satten Krimi-Epen.

James Lee Burke: „Regengötter“ | Deutsch von Daniel Müller | Heyne | 672 S. | 16,99 €

Thomas Linden

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