engels: Herr Penschinski, Sie sind Mitinitiator des Wuppertaler Aktionsbündnisses gegen TTIP, das es seit einem Dreivierteljahr gibt. Was haben Sie eigentlich gegen freien Handel?
Helmut Penschinski: Das ist nicht ganz einfach so pauschal zu sagen. Natürlich sollte Handel relativ frei sein. Aber was heißt das? Nehmen wir ein Entwicklungsland und die Europäische Union. Die EU sagt zum Entwicklungsland, „wir wollen mit dir frei handeln“. Das Land öffnet seine Grenzen und darf auch in die EU exportieren – aber hat es überhaupt ernsthaft die Möglichkeiten, mit den europäischen Wirtschaftsriesen in Konkurrenz zu treten? Das ist von vornherein Schönfärberei.
Bei den Partnern des transatlantischen Abkommens, den Vereinigten Staaten und der EU, kann man kaum von Entwicklungsländern reden.
Beim TTIP werden ähnlich große Versprechungen gemacht. Zum Beispiel, dass es durch einen gesteigerten Export mehr Arbeitsplätze für den Mittelstand geben soll. Es gibt dazu aber auch andere Berechnungen, die weniger positiv ausfallen. Außerdem: Um Barrieren wegen unterschiedlicher Fertigungsnormen aufzuheben, reicht ein simples Abkommen über Standardisierungen. Dazu braucht man kein Vertragsmonster wie das TTIP. Das Handelsabkommen CETA (Comprehensive Economic and Trade Agreement) mit Kanada, das im August abgeschlossen wurde, ist übrigens ähnlich gefährlich. Und mit TISA (Trade in Services Agreement) wird aktuell ein Konstrukt für Dienstleistungen geformt. Dort wittert die Wirtschaft anscheinend auch Chancen.
Können Sie kurz zusammenfassen, was an TTIP eigentlich böse ist?
Ja. Das beginnt mit der Art, wie es ausgehandelt wird – in Geheimgesprächen ohne Transparenz. Das ist nicht demokratisch. Zweitens soll es durch TTIP private Schiedsgerichte geben, mit deren Hilfe Konzerne sogar Staaten auf Schadensersatz verklagen können, wenn die Regierung ein Gesetz ändert und der Konzern dadurch Verluste macht. Unsere öffentlichen Gerichte reichen aber völlig aus. Wir brauchen keine Justiz im Hinterzimmer. Der dritte Punkt ist, dass Produktionsstandards angeglichen werden sollen. Die sind in den USA und der EU sehr verschieden.
Worin zum Beispiel?
Wenn man in Deutschland ein Medikament verkaufen will, muss man die Harmlosigkeit nachweisen. In den USA soll man umgekehrt lediglich die Schädlichkeit nachweisen. Andererseits ist unsere Gewohnheit, in der Mast Antibiotika einzusetzen, nicht gerade vorbildlich. Im Finanzsektor hoffen die Banken auf eine Lockerung der amerikanischen Gesetze, die ihnen in den USA viel weniger Spielraum lassen als in Europa. Sie werden also nicht in gleicher Weise haftbar gemacht.
Ist es von Vorteil, dass Sie schon in der Entwurfsphase Widerstand leisten können, weil Details des Abkommens durchgesickert sind?
Auf jeden Fall. Das wird von den Politikern übrigens regelrecht als Hemmnis der Verhandlungen wahrgenommen. Die handelnden Personen sagen, dass sie weniger pokern können, wenn der jeweils andere über ihre Position schon Bescheid weiß. Das ist aber unwürdig in einer Demokratie bei Projekten dieser Größenordnung.
Beim letzten Treffen Ihrer Aktionsgruppe waren über 60 Menschen anwesend. Reicht das, um sich lokal gegen die Weltpolitik zu stellen?
Das ist ein altes Argument: „Was wollt ihr Wenigen gegen die da oben mit ihrer Macht ausrichten? Die machen doch sowieso, was sie wollen.“ Unser Protest hat aber auch eine Symbolwirkung, dass nicht alle Ja und Amen zu den Ideen der Politiker und Wirtschaftsbosse sagen. Und zweitens gibt es mittlerweile Kommunen wie Gütersloh, die sich über den Stadtrat politisch zu TTIP-freien Räumen erklärt haben. Das ist auch richtig so, denn die Auswirkungen auf den kommunalen Bereich sind nicht von schlechten Eltern. Und der Protest ganzer Städte ist auch für die Politiker nicht zu verachten. Deshalb gibt es auch Schwierigkeiten bei den Verhandlungen – weil es spürbaren Gegenwind gibt.
Was kann man denn selbst konkret vor Ort tun?
Mittlerweile haben wir fünf Infoveranstaltungen in verschiedenen Wuppertaler Stadtteilen durchgeführt – alle, um über TTIP aufzuklären. Dadurch wurden verschiedene Medien auf uns aufmerksam. Wir müssen in die Öffentlichkeit. Man muss sich immer als Rädchen in einem größeren Zusammenhang sehen und nicht sagen, dass man zu klein ist, um irgendetwas zu bewirken.
Was haben Sie in Zukunft vor?
Zum europaweiten Aktionstag gegen TTIP am 11. Oktober wird es von uns eine Demonstration in Wuppertal geben. Wir versuchen es dann auch mit anderen Formen des Protestes. Ein Kabarettist wird zum Beispiel auftreten. Unser nächstes Ziel ist es dann, die Lokalpolitik für uns zu gewinnen. Die große Wuppertaler Kooperation aus SPD und CDU ist im Moment weniger leicht zu erreichen als zum Beispiel die Grünen und die Linken.
Um Wuppertal auch zur TTIP-freien Zone zu machen?
Genau so stellen wir uns das vor.
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