engels: Herr Jann: Wie wurden Sie Denkmalsschänder?
Klaus H. Jann: Ich bin 1940 im ersten Jahr des Zweiten Weltkrieges geboren und habe meinen Vater nie kennengelernt. Er kam in der Sowjetunion ums Leben. Ich bin dann ohne Vater großgeworden. Je älter ich wurde, umso mehr hat mich das Thema Krieg beschäftigt. Ich fragte mich, warum Kinder ohne Väter aufwachsen müssen. Das waren in meiner Generation ja Hunderttausende. In meiner Schulklasse waren wir bestimmt zehn Kinder, die durch den Krieg keinen Vater mehr hatten. Wahrscheinlich habe ich mich deshalb auch als junger Mann der SPD angeschlossen.
Sie waren in der SPD?
Zunächst fühlte ich mich da auch ganz wohl. 1961 war ich in Nordrhein-Westfalen Mitbegründer der Ostermarschbewegung und protestierte gegen Atomwaffen. Das fanden die Sozialdemokraten gar nicht gut. Als ich in Wülfrath eine Friedensgruppe gründete, hat man mich aus der SPD ausgeschlossen. Nachträglich bin ich den Sozialdemokraten dafür sehr dankbar.
Mit Ihrer Tat waren Sie nicht allein?
Nein, im niederbergischen Raum gab es eine Jugendgruppe, die hieß Limbo-Club. Wir setzten uns für internationale Freundschaft ein, kamen aus der Gewerkschaftsbewegung und von den Falken. Uns störte ein Kriegerdenkmal in Neviges. Auf einer etwa drei Meter hohen gemauerten Säule stand ein großer deutscher Adler. Auf dem Sockel war zu lesen: „Den Toten zur Ehre! Den nachfolgenden Generationen zur Nacheiferung empfohlen!“ Das brachte uns auf die Barrikaden. Wir haben uns dann entschieden, das Denkmal an einem Samstagnachmittag abzureißen. Das war im Jahr 1965. 50 Jugendliche spannten ein Stahlseil um das Denkmal. Ein VW-Bus sollte dann das Denkmal umwerfen. Das hat leider nicht geklappt. Dann kletterten wir mit Leitern hoch und sägten dem Adler die Flügel ab. Natürlich kam die Polizei und hat ein paar von uns verhaftet. Wir belagerten dann so lange die Polizeiwachet, bis wir unsere Leute wieder mitnehmen konnten.
Welche Konsequenzen hatte diese Aktion?
Die Staatsanwaltschaft stellte dann gegen uns Strafantrag. Allerdings wurde das Verfahren eingestellt. Wahrscheinlich war den Verantwortlichen das Denkmal, das wir beschädigten, selbst sehr peinlich. Man wollte wohl vermeiden, dass eine größere Öffentlichkeit von dem Denkmal erfuhr. Die Junge Union startete eine Kampagne gegen uns. Man müsse uns doch für unsere Tat bestrafen. Wir wehrten uns mit Flugblättern dagegen und erfuhren von der Bevölkerung viel Sympathie. Die Stadt riss ein halbes Jahr später das Denkmal ab. Die Flügel haben wir lange in unserem Vereinslokal an der Wand hängen gehabt.
Sie waren später ein führendes Mitglied der DKP. Wie ging es Ihnen dort als Kriegsgegner?
Eigentlich habe ich mich dort politisch zuhause gefühlt. Aber selbst in meiner kommunistischen Zeit habe ich Krieg nie gut gefunden, auch nicht, wenn er von einem sozialistischen Land geführt wurde. Ich bin immer für Gerechtigkeit gewesen, befürwortete da auch Gewalt. Aber Krieg habe ich immer abgelehnt.
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