Es ist tatsächlich schon sechzig Jahre her, dass Robert Wise und Jerome Robbins das Broadwaymusical „West Side Story“ verfilmten und in der Folge dafür zehn Oscars abräumten. Jetzt inszeniert Steven Spielberg das Jahrhundertwerk (Buch: Arthur Laurents, Musik: Leonard Bernstein, Liedtexte: Stephen Sondheim) neu. Die Handlung seiner „West Side Story“ bleibt weitestgehend dem Original verpflichtet und in gleicher Zeit und gleichem Ort angesiedelt, nur der Blick aufs Geschehen ist nuanciert ein anderer – denn es ist unser Blick, der das New York von heute kennt und weiß, was sich geändert hat seitdem, und vor allem: was nicht. Die 1950er Jahre, Romeo und Julia in New York: Zwei Straßenbanden, die Jets und die Sharks, kämpfen ums Revier. Aus beiden Reihen entspringt ein Liebespaar, das darf nicht sein und endet tragisch. Migration, Herkunft, Heimat, der Traum vom amerikanischen Traum, Revierstreit, Hahnenkampf, Liebe, Hass und Rachsucht – die Themen sind heute so aktuell wie damals, und der Mensch, er menschelt, das war vor Shakespeare so, und das ist nach Shakespeare so. Die Darsteller überzeugen, angefangen mit den Rudelführern Riff (Mike Faist) und Bernardo (David Alvarez) bis hin zu Rita Moreno, die schon in der Erstverfilmung mit an Bord war und hier die Betreiberin eines Drugstores spielt. Rachel Zegler als Maria singt einen verlässlich durch die Gänsehautmomente, Ansel Elgort („Baby Driver“) agiert auf Augenhöhe – bzw. eigentlich nicht, denn der Kerl ist locker zwei Köpfe größer als seine Liebste. Steven Spielberg serviert ein Fest für Herz und Sinne, das die Leinwand sprengt! Kulissen und Kostüme sind erwartungsgemäß opulent, und alles andere ist ja schon da: Die berührende Geschichte, die mitreißenden Choreographien, die unvergesslichen Lieder. Vom ersten Fingerschnippsen bis zum letzten Atemzug bereitet auch dieses zweieinhalbstündige Remake Sogwirkung.
Die marokkanische Regisseurin Maryam Touzani legt ihrem Spielfilm-Regiedebüt „Adam“ eine eigene Erfahrung zugrunde: Ihre Eltern nahmen vor einigen Jahren vorübergehend eine schwangere Frau auf, die ihr Kind heimlich zur Welt bringen wollte, weil der Vater des Kindes sie verlassen hatte. Das Kind war verdammt, weil es unehelich zur Welt gekommen wäre. Die Mutter sah nur einen Ausweg: das Kind nach der Geburt wegzugeben. Das gleiche Schicksal widerfährt in Touzanis Debüt der schwangeren Samia (Nisrin Erradi). Sie sucht, fernab ihrer Familie, Arbeit und eine Unterkunft, um heimlich ihr Kind austragen zu können. Eher widerwillig nimmt sie die alleinerziehende Bäckerin Abla (Lubna Azabal) auf. Abla selbst ist von einem schweren, durch gesellschaftliche Normen bedingten Schicksalsschlag nachhaltig aus dem Leben geworfen. Ihre achtjährige Tochter Warda scheint der einzige Lichtblick in dem Domizil, in das Samia aufgenommen wird. Ganz ohne musikalische Untermalung und auf engem Raum gelingt Touzani ein intensives Drama über zwei erschöpfte Frauen, denen Würde, Freiheit und (Mutter-)Liebe kulturell verwehrt werden. Stark und tief berührend.
Außerdem neu in den Kinos in und um Wuppertal: Adam McKays Katastrophenkomödie „Don't Look Up“, Joann Sfars Zeichentrickspaß „Das große Abenteuer des kleinen Vampir“ und Joya Thomes märchenhafte Buchverfilmung „Lauras Stern“.
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