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Julia Burbach
Foto (Ausschnitt): Victoria Cadisch

„Wir hoffen, dass die Geschichte neu wahrgenommen wird“

30. Januar 2024

Regisseurin Julia Burbach inszeniert „Alcina“ an der Oper Wuppertal – Premiere 02/24

Die Regisseurin Julia Burbach hat gemeinsam mit dem Dirigenten Dominic Limburg für die Wuppertaler Oper eine eigene Fassung von Georg Friedrich Händels „Alcina“ entwickelt, mit der sie durch Kürzungen und eine veränderte Reihenfolge eine neue Perspektive auf das Werk eröffnen will. Musikalisch bleibt die Oper unverfälscht.

engels: Frau Burbach, warum haben Sie das Libretto der barocken Oper „Alcina“ für die Jetztzeit verändert?

Julia Burbach:
Eine Sache, die ich ganz wichtig finde an der „Alcina“-Geschichte, ist, dass wir uns ja immer Dinge erhoffen, erträumen, wünschen und dass alles so funktionieren soll, wie man es selbst gerne hätte. Diesen Aspekt betrachte ich mit Ernsthaftigkeit. Es gibt ja immer ein großes Interpretationsspektrum bei diesen Stoffen und damit verschiedene Arten, wie man sie inszenieren und umsetzen kann. Ich bin immer auf der ernsthaften Suche nach dem menschlichen Kern, mit dem ich was anfangen und mit dem ich mich identifizieren kann. Ich habe schon viele Inszenierungen von „Alcina“ gesehen, bei denen mir die Frauenfigur nichts gesagt, nichts bedeutet hat. Ich dachte immer: Was soll das, die macht, was sie will, und das geht dann stundenlang so weiter. Als ich dann das Angebot bekommen habe, die Oper in Wuppertal zu inszenieren, habe ich mich gefragt: Wie kann ich mehr verstehen, warum diese Frau das alles so macht, warum sie das braucht? Wir haben zuerst Text gestrichen und auch die Reihenfolge der Arien leicht umstrukturiert, um einen neuen Erzählbogen zu schaffen, eine andere Perspektive zu geben, um das Geschehen neu zu beleuchten. Ich habe die Figur Alcina als Protagonistin erhoben, andere Stränge treten dafür in den Hintergrund. 

Was von der Dramaturgie aus dem 18. Jahrhundert muss aus musikalischer Sicht bleiben?

Also es ist 100 Prozent die Musik. Aber nehmen wir mal an, da gäbe es die Arie 34, die kommt bei uns, aber eben an anderer Stelle, weil wir einen neuen dramaturgischen Bogen entworfen haben. Das ist im Kontext von Barockopern auch nicht so unüblich, selbst für die damalige Originalzeit nicht. Insofern machen wir nichts, was noch nicht gemacht wurde. Wir hoffen, dass unsere Version ungewöhnlich und spannend ist und die Alcina-Geschichte neu wahrgenommen werden kann. 

Wie wichtig ist, dass Dominic Limburg als Dirigent da mitgeht?

Super wichtig. Ohne ihn ginge das nicht. Ich muss immer früh Entscheidungen treffen – auch wegen der Produktion von Bühne und Kostüm. Aber Dominic Limburg ist ein toller Kollege, und ich freue mich sehr auf die Zusammenarbeit. Er findet unser Konzept spannend, aber wir verstümmeln ja auch nichts. 

Wie wichtig ist der Tanz in ihrer Inszenierung?

Abgesehen vom eigentlichen Tanz sehe ich Oper sowieso als eine psychologische Choreografie. Für mich ist Bewegung zu Musik generell sehr wichtig. Da bin ich sehr detailgenau, wie sich die Darsteller im Raum zur Musik bewegen. Bei „Alcina“ haben wir fünf, sechs Tänzer dabei, und dafür bringe ich den Choreografen Cameron McMillen mit, mit dem ich schon oft zusammengearbeitet habe. Dazu kommt noch der Wuppertaler Ben Wichert. Das ist spannend, weil hier zwei Tanzstile miteinander verbunden werden, denn Ben kommt aus der HipHop-Freestyle-Szene und Cameron ist ein durchtrainierter Balletttänzer und Contemporary Dancer. Mich interessieren keine Tanznummern, wo Tänzer auftreten, tanzen und dann gehen, wenn es im Libretto steht. Für mich muss das durchdacht sein, Sinn und Zweck haben, psychologisch und auch anderweitig. 

Überlagert die Psychoanalyse heute das Romantische und Magische des 18. und 19. Jahrhunderts? Oder entzaubert sie die Stoffe?

Das finde ich überhaupt nicht. Psychologie ist ja im Grunde was Romantisches. Wir haben eine Rahmenhandlung gestaltet, wo Alcina eine Frau in der realen Welt ist, die dort einen großen Schmerz ertragen muss, weil sie verlassen wird. Im Grunde wird die Insel, auf der das spielt, in ihrer Tiefenpsychologie oder Traumwelt erschaffen, weil sie die braucht, um mit dem Schmerz klarzukommen. Diese ganzen Konstellationen von Figuren um sie herum zeigen, wie es gehen kann – und wie nicht. Und ganz im Sinne der Oper ist Alcina erstmal die Allmächtige, die wie eine Puppenspielerin schauen kann, wie sich das anfühlt: Macht mir das Spaß, geht das so, wie ich es gerne möchte? Ihm wird jetzt Schmerz zugefügt, jetzt kann ich glauben, dass er mir gehört. Natürlich weiß sie, dass es in Wirklichkeit nicht so ist, und ich glaube, das ist etwas zutiefst Menschliches. Wir überlisten uns, driften in eine kleine Fantasiewelt, in der wir zwar wissen, dass es nur Fantasie ist, aber es tut trotzdem gut. 

Dafür gibt es kein klassisches Bühnenbild mehr?

Na ja, wir befinden uns nicht auf einer Insel. Trotzdem ist das Bühnenbild durchaus klassisch, es ist keine schräge Sache. Es wird ein sehr schöner Raum, der an die Barockzeit erinnert. Aber er hat auch etwas Entfremdetes. Es wird deutlich, dass der Barockraum kreiert ist. Dann ist das im Grunde wie ein Raum in einem Palast. Es gibt verschiedene kleine Räume, die die Doppelbödigkeit der realen Welt und der anderen Welt zeigen. Und dann bricht das alles auseinander.

Alcina | 9. (P), 16., 22.3., 1.4., 5.5., 14.6. | Opernhaus Wuppertal | 0202 563 76 66

Interview: Peter Ortmann

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