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Angeknockt

30. Januar 2014

Vom Durchboxen in der Literatur – Wortwahl 02/14

Was machen wir uns eigentlich vor? Erst hauen wir uns in Christi Namen die Plauze voll, lassen den lieben Gott einen alten Mann sein, um dann in guten Vorsätzen und Träumen von ruhmreichen Taten zu schwelgen, ehe wir spätestens Ende Januar schon wieder auf dem Boden der Tatsachen liegen. Zermürbt von den alltäglichen Jabs. Schmerzhaft getroffen von den unvorhersehbaren Geraden und Haken, die das Leben im Repertoire hat. Hineingelaufen in eine lächerliche Finte, niedergestreckt von einem krachenden Uppercut. Angezählt. 10-9-8-7 … und das in Runde eins.

Kein Wunder, dass Henry Smart irgendwann einfach liegen bleiben will. Zu viele Fights hat Roddy Doyles in die Jahre gekommener irischer Rebell seit „Henry der Held“ und „Jazztime“ austragen, zu viele Schläge einstecken, zu oft sich schütteln und aufrappeln müssen. Bis er an seiner vermeintlich letzten Ruhestätte im Monument Valley von Jon Ford und seinem Filmteam wieder „wachgeküsst“ wird. Auf ins nächste Gefecht. Der berühmte Regisseur will das Leben des einbeinigen Freiheitskämpfers verfilmen, zerrt ihn zurück in seine Heimat. Widerstrebend steigt der Silberrücken erneut in die Seile, versucht das Ruder zu übernehmen, die Ringmitte zu erobern, um sie knorrig wie eine alte Eiche zu verteidigen – und muss bei der „Rückkehr des Henry Smart“ [Hanser] doch erkennen, dass nicht er, sondern andere, mithin das Schicksal, den Kampf bestimmen.

Auch Simon Moro aus Brock Browers Feder ist solch ein Kandidat, der das Heft nicht aus der Hand geben will. Mit aller Macht stemmt sich der verblassende Horror-B-Movie-Star gegen sein Verschwinden von der Bildfläche und greift dafür ganz tief in die (Psycho-)Trickkiste. Das bekommt nicht nur der fanatische Journalist Warner Williams zu spüren, aus dessen Perspektive wir uns zunächst der semilegendären Kultfigur nähern. Auch Schauspielerkollegen und Regisseur müssen sich während der Dreharbeiten zu M.s letztem Streifen immer wieder seiner unbändigen Willenskraft und tiefgründigen Schläue beugen. Selbst als sich bereits der Sargdeckel über „Moro Man“ geschlossen hat, wartet der Untote noch mit einem biestig inszenierten Schocker auf: „Der letzte große Schrecken“ [Kunstmann] wider eine (a)moralisierte, weichgespülte Gesellschaft.

Einem ganz anderen Naturell begegnen wir hingegen mit Amity Gaiges Eric Kennedy. Boxerisch gehört er eher zur Gattung Friedensnobelpreisträger: immer nur hin und her tänzelnd, einsteckend, bis er sich erbarmungslos in die Ringecke getrieben sieht, nur noch blind die Flucht nach vorne antreten kann. Er, der Hochintelligente mit seiner schon zu Jugendzeiten fingierten Biografie, muss erkennen, wie besinnungslos er sich selber in die Ausweglosigkeit manövriert hat. Aus der Distanz des kaum mehr abzuwendenden K.O. versucht er seiner Ex-Frau, dem Gericht und nicht zuletzt sich selbst zu erklären, wie es zu der „Entführung“ seiner Tochter kommen konnte. Plötzlich sieht er die Einschläge, vor denen er immer die Augen verschlossen hat, muss er erkennen, dass er nie das Gewicht mittig über seinen Füßen hatte, seine eigene Führhand völlig vernachlässigt hat – womit „Schroders Schweigen“ [Berlin] zu einem Lehrstück über die Faustregeln des Boxkampfs wird.

Wie sagt man so schön? Ganz großer Sport, was die drei Autoren hier abliefern. Allerdings hat Literatur genauso wenig mit Sport zu tun wie Boxen. Oder wie es Joyce Carol Oates in ihrem „mosaikartigen“ Essay „Über Boxen“ [Manesse] leidenschaftlich auf den Punkt bringt: „In seinen intensivsten Momenten ist es [das Boxen] ein so machtvolles Bild des Lebens und all seiner Facetten – Schönheit, Verletzlichkeit, Verzweiflung, unberechenbarer und oft selbstzerstörerischer Mut –, dass es das Leben selbst ist … Man spielt Football, aber man spielt nicht Boxen.“ Und auch nicht Schreiben. Und erst recht nicht Leben. Also auf in die nächste Runde!

LARS ALBAT

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