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Lyrischer Langstreckenläufer: Werner Streletz
Foto: privat

Die Bilder der Geschichten

28. November 2013

Die Helden des Bochumer Autors Werner Streletz im Museum – Portrait 12/13

Auf Hattinger Ruhrseite, aber in Bochumer Verantwortung, ist auf dem malerischen Herrensitz Haus Kemnade zurzeit eine Ausstellung zu sehen, die das Werk des Bochumer Autors Werner Streletz würdigt. Streletz ist gebürtiger Bottroper, doch seit es ihn in den 1980er Jahren in die Lokalredaktion der Bochumer WAZ zog, liegt hier sein Arbeits- und Lebensmittelpunkt. Hier hat der leidenschaftliche Theatergänger die Möglichkeit gefunden, sein kulturelles Interesse auch beruflich einzubringen, hier findet er aber auch Stoff für sein literarisches Schaffen. Dabei ist ihm wichtig, eines von vornherein entschieden klarzustellen: „Ich möchte auf keinen Fall in eine Ruhrgebietsautor-Schublade gesteckt werden! Das Ruhrgebiet bildet nur eine Folie für meine Geschichten. Die Probleme meiner Figuren sind weniger in der Region begründet als dass sie vielmehr aus mir persönlich kommen.“ Dennoch klingt die Liebe zum Revier in seiner Stimme durch, wenn er über die Architektur, über Industriekultur wie im Westpark redet. „Das ist hier eine ziemlich harte Ecke, rau, aber keinesfalls grob. Kohle und Stahl sind ja auch sehr harte Materialien. Und ich setze übersensible Typen in diese herbe Umgebung – und schaue, was dann passiert. Natürlich wäre das grundsätzlich woanders denkbar – aber es entstünden doch ganz andere Texte. Meine Texte stellen keine Umarmung des Ruhrgebiets dar, vielmehr fungieren die Figuren als Gegenpart.“

Kneipenkosmos
Diese Abgrenzung steht nur in scheinbarem Widerspruch zu der Tatsache, dass Streletz lange Jahre hauptsächlich Texte in Ruhrgebietssprache veröffentlicht hat. „Auch in der Zeit, als ich in Ruhrgebietsdialekt geschrieben habe, war das so: Die Inhalte kamen eher aus mir selbst“, wendet Streletz ein und veranschaulicht anhand einer Anekdote: „Als ich früher in Herten bei der Zeitung arbeitete, gehörte es zum Dienst, dass man mit dem Redaktionsleiter in der Kneipe nebenan flippern gehen musste. Und dort sah man immer dieselben trübe vor sich hinglotzenden Gestalten, die um diese Zeit bereits in der Kneipe hockten. Diese Gestalten haben mich gereizt, denn auch für die musste es ja ein Leben und ein Schicksal außerhalb des Kneipenkosmos geben. Ich habe also diesen Figuren ein literarisches Eigenleben verpasst. Später in Marl wies mich ein Freund darauf hin, dass diese Leute doch ganz anders miteinander kommunizieren als ich es mir ausmalte, dass sie keineswegs über die Welt philosophieren. Die reden über nichts anderes, als wo sie die nächste Palette Hansa-Bier herbekommen. Da wurde mir klar, dass ich mich gar nicht wirklich in die Charaktere eingefühlt, sondern ihnen vielmehr meine eigenen Gedanken aufgestülpt hatte.“

Radioroman
Was die Verlagswahl betrifft, so bleibt Streletz heimatverbunden. Das liegt nicht etwa daran, dass ihn eine Veröffentlichung in einem überregionalen Literaturverlag nicht reizte (er gibt auch unumwunden zu, Anfangs – als ein Romanmanuskript noch gar nicht fertiggestellt war – erfolglose Vorstöße in diese Richtung unternommen zu haben), sondern dass sich die Kontakte zu seinen Verlegern über Jahrzehnte entwickelten. „Bis ‚Kiosk kaputt‘ hatte ich es nie geschafft, einen Roman zu schreiben. Meine literarische Form war lange Jahre Lyrik, Kurzprosa und vor allem Hörspiele.“ Hörspiele wurden in der Tat zum Dreh- und Angelpunkt seines Schaffens.

Streletz‘ Kontakte zu Verlagen entwickelten sich langsam über Jahrzehnte. „Bis Kiosk kaputt hatte ich es nie geschafft, einen Roman zu schreiben.“ Wichtig war für ihn Frank Hübner vom WDR, der sich für Ruhrgebietsthemen stark machte. „Es ging nicht um die Kleingartenanlagen“, stellt Streletz klar, „sondern um die Rathäuser. Strukturwandel statt Kumpelnostalgie war ein großes Thema. Bei mir geht es ohnehin viel weniger um Bergleute als um Lehrer.“ Zwölf Autoren arbeiteten damals an einem Radioroman, darunter Streletz’ 2008 verstorbener Weggefährte Michael Klaus, „den ich als Mitstreiter sehr vermisse.“

Durch die Hörspiele und natürlich den Brotberuf in der Kulturredaktion blieb wenig Zeit für längere andere literarische Arbeiten. Gedichte sind aber auch nicht unbedingt leicht zu veröffentlichen. „Irgendwann wurde mir dann Oskar Gölzenleuchter vorgestellt. Wenn man als Kulturredakteur arbeitet, muss man immer auch schauen, wer eventuell die Nähe nur sucht, um in die Zeitung zu kommen – aber Oskar habe ich sehr schnell schätzen gelernt und es ist eine enge Freundschaft entstanden.“ Diese Freundschaft trug dann auch papierne Früchte, denn in Gölzenleuchters Edition Wort und Bild erschienen einige Zeit lang regelmäßig bibliophile Bände mit Streletz-Texten und Gölzenleuchter-Drucken.

Bilingual
Die Ruhrgebietssprache war lange Zeit ein Markenzeichen von Streletz, doch er sah sich da in einer eher schwierigen Nachbarschaft: „Mit meinen Ruhrgebietstexten habe ich immer gegen Witzbolde gekämpft. Ruhrgebietssprache, das waren Jürgen von Manger oder Herbert Knebel. Mein Traum war ein wenig, eine neue Schule zu gründen – damit bin ich aber letztlich allein geblieben“, stellt Streletz resigniert fest. „Irgendwann war diese Form auch für mich ausgelutscht, mit 50 war Feierabend.“ Im kürzlich erschienenen „Lesebuch“ finden sich selbstverständlich auch Texte aus „Blues ausser Neemstraße“ – doch kein einziger hiervon ist noch in Ruhrgebietsidiom gehalten. Hat Streletz die alten Texte sämtlich neu überarbeitet? „Nein, bei meinen frühen Gedichten hat es immer ein Hin und Her zwischen hochdeutschen und ruhrdeutschen Fassungen gegeben – manche Texte fand ich in beiden Versionen reizvoll. Bei anderen Texten war die hochdeutsche Version ohnehin der Originaltext. Und ich habe sie später ‚übersetzt‘. Mal so, mal so. So ganz genau kann ich das heute nicht mehr auseinanderhalten. Mittlerweile ist das für mich weit weg – obwohl: Eine Lesung kürzlich hat mir dann doch mal wieder Spaß gemacht.“

Vom Sprint zur Langstrecke
Doch mit der bewussten Abkehr vom Ruhrgebiets-Idiom kam die konsequente Arbeit an längerer Prosa: „Ich habe mich irgendwann an drei Romantexte gemacht, die sich auf bereits gesendete Hörspiele bezogen, so nach dem Motto ‚wenn Du es überhaupt nicht loswirst – veröffentlich ist es ja längst‘. Begonnen hatte ich mit dem dann erst als letztem erschienenen ‚Rohbau‘. Die Arbeit daran habe ich dann aber abgebrochen, und ‚Kiosk kaputt‘ fertiggestellt. Mein erster Kontakt war mit einer netten Lektorin vom Asso-Verlag. Sie war von dem Roman überzeugt, hat ihn aber im Verlag nicht durchsetzen können. Sie hat mir dann empfohlen, Werner Boschmann zu kontaktieren. Sein Verlag hatte zu dem Zeitpunkt überhaupt kein literarisches Programm, weshalb ich zunächst skeptisch war. Als ich Werner Boschmann dann persönlich kennenlernte und erlebte, mit welchem tiefen Interesse, mit welcher Akribie und hohem Sprachgefühl er mit mir das Lektorat erarbeitete, wusste ich, dass meine Romane hier in guten Händen wären.“ Mit dem Roman kam dann auch der Literaturpreis Ruhr, für den Streletz schon als Lyriker vorgeschlagen war.

Wort und Bild
Schon immer hat Streletz Kontakt zu bildenden Künstlern gepflegt – und schon in der ersten Veröffentlichung in Heftform gab es Zeichnungen zu den Texten. „Die Kooperationen waren in der Regel keine gemeinsamen Projektarbeiten, sondern die Künstler haben auf meine bereits vorhandenen Texte reagiert. Aus der Idee heraus, dass ein Hörspiel irgendwann gesendet wird und dann einfach weg ist, habe ich zum Beispiel Zarko Radic gefragt, ob er nicht Lust hätte, auf das Hörspiel ‚Mankurt‘ zu reagieren. Aus seinen Eindrücken entstanden zunächst Bilder, die für das Booklet einer CD-Edition gedacht waren. Als der Bochumer Museumsdirektor diese sah, kam die Idee eines begehbaren Hörspiels im Medienraum des Museums. Die raumfüllenden Bilder Zarkos waren schon eine Wucht. Dabei hat er nicht illustrativ gearbeitet, sondern zum Teil ganz kurze Höreindrücke verarbeitet. Da war zum Beispiel ein Motorradfahrer, der im Hörspiel selbst eigentlich nur als Motorengeräusch präsent ist, der aber im Maler ein Bild entstehen ließ.“

„Bei Michael Korte wiederum gestaltete sich die Kooperation ganz anders“, gewährt Streletz Einblick in die Ideenentwicklung, „eigentlich war ich nur auf der Suche nach einem Coverbild für das Buch. Michael Korte fiel daraufhin ein Fotozyklus ein, der so hundertprozentig zur Stimmung passte, dass wir uns entschieden, das Buch insgesamt visuell ‚aufzumöbeln‘. Das funktioniert natürlich nur bei kurzen Texten, Romane erlauben solch freies Assoziieren eigentlich nicht – da wäre man schnell im Bereich der reinen Illustration.“

Der Lokalreporter als tragischer Held
Zu seinem neuen Projekt will Streletz zunächst nicht viel sagen, wird dann aber doch gesprächig: „mein neuer Roman spielt erkennbar nicht im Ruhrgebiet. Ich hatte eine jahrzehntelange Hemmung, über Journalismus zu schreiben. Stattdessen ließ ich in ‚Rohbau‘ meine Praktikumserfahrung vom Bau aus meiner Jugendzeit einfließen. Nun, mit Abstand von der Arbeit, kann meinen Helden zum Lokalreporter machen und befreit aufschreiben und mit Freude zuspitzen. Schließlich war ich 40 Jahre in dem Beruf tätig. Natürlich habe ich Sorge, der Roman wird mir allzu autobiographisch ausgelegt. Da wird es schon zu einem Balanceakt, einen Einblick in das Innenleben einer Lokalredaktion zu gewähren, ohne Betriebsgeheimnisse auszuplaudern.“ Von Streletz ist also mit Sicherheit kein Enthüllungsroman aus der Zeitungsbranche zu erwarten. Vielmehr ist der autobiographische Bezug des Buches ein viel intimerer: „Schon lange spiele ich mit dem Gedanken, den Selbstmord meiner zweiten Ehefrau literarisch zu verarbeiten. Immer wieder habe ich diese Konfrontation mit der Vergangenheit vor mir hergeschoben, aber schließlich habe ich mir gedacht ‚wenn nicht jetzt, wann dann?‘“ Letztlich geht es ihm in seinem neuen Roman viel weniger um autobiographische Aufarbeitung als vielmehr um die Frage „wann kann ich jemandem glauben?“ – auf der Ebene der psychisch kranken Frau ebenso wie auf politischer Ebene.

Beim Versuch, das Gespräch von der politischen Ebene des Romans überzuleiten zum möglichen Literaturhaus Ruhr, einem Projekt, das Streletz in seiner Wahlheimat auch als Kulturredakteur immer aktiv befürwortet hat, wehrt er resigniert ab: „Nein, das ist abgehakt – vielleicht gibt es ja irgendwann im Musikzentrum ein literarisches Eckchen…“

„Die Bilder der Geschichten. Literatur trifft Kunst“ | bis 12. Januar | Haus Kemnade

Lesebuch Werner Streletz, Aisthesis-Verlag, 8,50 Euro

„Der Streletz-Block“: Die Romane „Kiosk kaputt“, „Vermessen“ und „Pokalkampf“ im Schuber, Henselowsky-Boschmann, 29,80 Euro

FRANK SCHORNECK

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