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Fit für 3.0

25. August 2011

Ein junges Designerteam aus Wuppertal entwirft einen Plan für die Modernisierung der Schwebebahn und gewinnt damit den red dot-Preis – Porträt 09/11

Für Besucher ist und bleibt sie ein Wahrzeichen der Stadt. Für Bewohner aber ist sie so etwas wie die Hauptschlagader des öffentlichen Nahverkehrs. Und irgendwie ist sie schwer in die Jahre gekommen: die Schwebebahn. Um ein tragfähiges Konzept zur unproblematischen Nutzung für die kommenden 30 Jahre zu entwickeln, wendeten sich die Betreiber, die Wuppertaler Stadtwerke (WSW), an Visionlabs, einer Plattform für visionäre Forschungs- und Entwicklungsprojekte an der Bergischen Uni.

Die wichtigste Frage für Andrea Schöllgen, Philipp Goeder, Dirk Hessenbruch und Renke Thye war, eine zukunftsweisende Fahrzeugspezifikation für die sich veränderten Nutzerbedingungen zu entwickeln. Und weil die Massenverkehrsmittel anderer Städte vor den gleichen Umstrukturierungsproblemen stehen, recherchierte das Quartett – übrigens alles Diplomanden, die ihren Abschluss im Sommersemester 2010 beziehungsweise Wintersemester 2010/11 stemmten und inzwischen als Industriedesigner bei renommierten Unternehmen ihr Geld verdienen – auch in Düsseldorf, Berlin, Paris und London.

Historisch-futuristisch
„Berlin lockte zu Beginn des Projekts mit der ‚Forschungskonferenz für Urbane Mobilität’, die sich mit der Zukunft der Mobilität in den Städten befasste, sowie der Berliner Verkehrsgesellschaft mit ihren unterschiedlichen Bussen, U- und S-Bahnen“, erinnert das Quartett sich. In Paris gibt es – genau wie im Tal – Probleme mit der Fahrgastkapazität. Die Metro nämlich entstand zur gleichen Zeit wie die Schwebebahn, deren Bau und Betrieb im Dezember 1894 beschlossen wurde. Sie sollte vom Zoo über die Wupper bis Rittershausen, heute Oberbarmen, fahren. Knapp ein Jahr später wurde beschlossen, die Strecke über die Straße bis Vohwinkel auszubauen. Sektiererische Zirkel verdammten die Idee als „wahnsinniges Unterfangen“. Es hieße, Gott zu versuchen und sei sündige Eitelkeit, sich solch sündigem Satanswerk anzuvertrauen. Von diesem Geschwafel unbeeindruckt war 1898 Baubeginn, am 24. Oktober 1900 nahmen Kaiser Wilhelm II und seine Entourage persönlich in einem der Waggons Platz – daher der bei Touristen so beliebte „Kaiserwagen“ –, am 1. März 1901 wurde die Route Kluse bis Zoo für das gemeine Volk freigegeben. Hübscheste Anekdote in Sachen „Pannen“ datiert anno Juli 1950. Elefantenmädchen Tuffi stürzt sich während einer Werbefahrt für „ihren“ Zirkus aus der Bahn in die Fluten. Der dramatischste Unfall ereignete sich im Frühjahr 1999, als ein Zug in die Wupper stürzt, wobei fünf Fahrgäste starben und weitere verletzt wurden.

Funktionierende Beispiele aus dem Ideenpool
„Die Schwebebahn soll im Alltag für jeden Fahrgast funktionieren, deshalb sind Personengruppen mit speziellen Anforderungen ein wichtiger Teil der Betrachtung.“ In einen Age-Anzug verpackten sich die vier Masterstudenten. Was sich spacig anhört ist tatsächlich eine bewährte Methode, um vermittels angepasstem Overall, Kopfhörer und sehkraftverändernder Brille die Ist-Welt älterer Leute darzustellen. Was brauchen sie, wo lauern Gefahren, was muss in Anbetracht des demografischen Wandels unbedingt in Überlegungen einbezogen werden? Außerdem wurden User ausführlich befragt. „Wenn es regnet, erzeugen die vielen Fahrgäste ein fast tropisches Klima in den Bahnen“, lautete eine Resonanz. „Die Bahnen sind gefühlt immer voll, da die Fahrgäste sich nicht gleichmäßig auf die Bahn verteilen, sondern immer im Türbereich stehen bleiben“, eine weitere.

Und das Ergebnis? Hat die Schwebebahn der kommenden Generation zwecks Power-Belüftung Riesenfenster, ist sie doppelstöckig, mit Teppichboden und was wird aus dem Schaukeln, leisen sirren und dem typischen Geruch? Was die Vier technisch entwickelt haben, ist zukunftsfähig, hochfunktionell, ästhetisch im Sinne von „gut anzusehen“ und bescherte, würde es realisiert werden, ein neues Schwebebahn-Erlebnis. „Das Zusammenwirken der Einzelmaßnahmen bewirkt eine neue, großzügigere Raumwahrnehmung.“ Rollstuhlbereich, Kinderwagenplätze, explizit als Stehflächen ausgewiesene Flächen, neu designte Sitze und eine intelligente Anordnung von Haltestangen sind markante Punkte, die für schöne Optik, ein großes Sicherheitsgefühl und gleichmäßige Verteilung der Fahrgäste sorgen. „Klimatisierung, das Beleuchtungskonzept und nicht zuletzt die Anzeige von Fahrgastinformationen haben einen großen Einfluss auf die Aufenthaltsqualität in der Bahn“, heißt es weiter. „Das funktionale Design wird durch klare, aber weiche Linien geprägt. Durch eine große Frontscheibe hat nicht allein der Fahrer einen optimalen Blick, auch die Fahrgäste dahinter können die Aussicht genießen. Das ‚freundliche’ Gesicht ändert sich nachts, dann geben Lampen der Bahn eine charakteristische Anmutung.“ Interessant beschrieben und schön anzusehen liegen die Ergebnisse der jungen Industrie-Designer als Buch „Neugestaltung der Wuppertaler Schwebebahn“ vor.

Ob, wann und wie sie umgesetzt werden, ist zurzeit unklar. Fest steht hingegen: Die red dot-Gewinner Andrea Schöllgen, Philipp Goeder, Dirk Hessenbruch und Renke Thye werden am 7. Oktober im Berliner Konzerthaus geehrt. Glücklicherweise wird es wohl auch zukünftig solche Gewinner in der Design-Stadt Wuppertal geben können. Die Universität gibt zwar den Studiengang 'Kommunikationsdesign' nach Essen ab, der national und international renommierte Studienbereich 'Industrial Design' wird aber weiterhin in Wuppertal bleiben.

VALESKA VON DOLEGA

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