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Matthias Hartwig
Foto: privat

„Höflich in der Form, hart in der Sache“

29. November 2022

Jurist Matthias Hartwig über Wandel in der Diplomatie – Teil 2: Interview

engels: Herr Hartwig, was ist Diplomatie?

Matthias Hartwig: Eine rechtlich festgelegte Definition gibt es nicht, aber es gibt im Völkerrecht Verträge, die den Schutz von Diplomaten regeln. Ich würde Diplomatie als das Bemühen bezeichnen, durch Repräsentation und Verhandlung einen Ausgleich zwischen zwei Staaten zu schaffen, einen Ausgleich auf friedliche Weise.

Was ist „stille Diplomatie“?

Früher ging die Diplomatie so weit, dass nicht einmal die Ergebnisse diplomatischer Verhandlungen immer offen nach außen kommuniziert wurden.Bis zum Ersten Weltkrieg – teilweise danach – gab es zahlreiche Geheimverträge, von denen die Öffentlichkeit nichts wissen sollte.Lenin und Woodrow Wilson stellten sich dagegen. Seitdem ist es überwiegende Praxis, Verträge offenzulegen. Die stille Diplomatie hat bis heute aber auch Vorteile – es ist nicht schlecht, wenn manche Dinge hinter verschlossenen Türen bleiben. Es gibt den Beteiligten die Möglichkeit, Grenzen auszuloten und Optionen zu eruieren– ohne dass jemandGefahr läuft, das Gesicht zu verlieren, wenn er seine ursprünglichen Forderungen nicht durchsetzen kann. Nehmen wir den Ukraine-Krieg: Nach dem öffentlichen Dekret Selenskyjs, niemals mit Putin zu verhandeln, würde er das Gesicht verlieren, geriete er doch in eine Situation, mit Putin verhandeln zu müssen. Man sollte also Diplomatie hinter verschlossenen Türen nicht unterschätzen. Das Informelle und Nicht-Öffentliche sind Teil der Diplomatie. Viele sind der Meinung, dass Diplomaten ein bequemes Leben führen mit schönen Essen etc., aber gerade hier werden wichtige Dinge vorbereitet, die beteiligten Parteien lernen sich kennen, können Vertrauen aufbauen und Positionen abtasten.

Wer ist Diplomat?

Man denkt in erster Linie an Botschafter, die ihr Land repräsentieren. Dies ist Teil der Diplomatie, etwa das Eröffnen einer Ausstellung oder die Teilnahme an einem Gedenktag. Bei zwischenstaatlichen Verhandlungen haben Botschafter allerdings an Bedeutung verloren. Alleine schon durch die schnelleren Kommunikationswegestehen sie unter stärkerer Kontrolle ihres Außenministeriums. Verhandlungen führen Spezialisten aus den jeweiligen Ländern, wie bei der Weltklimakonferenz. Auch Politiker sind nun stärker in die Diplomatie eingebunden, stützen sich allerdings stets auf die Vorarbeit und Hilfe ihrer Diplomaten.

Außenministerin Annalena Baerbock tritt sehr direkt auf.

Vergleicht man sie mit ihrem Amtsvorgänger Heiko Maas, so spricht sie deutlicher ihre Meinung aus. Die entspricht nicht immer diplomatischen Gepflogenheiten.

Eine neue Diplomatie?

Ich bin da skeptisch. Diplomatie hat auch immer von Diskretion gelebt, gerade in der Kommunikation nach außen bzw. vor Publikum. Man war einfach nicht so direkt. Tatsächlich war Diplomatie nie geeignet für das große Publikum, das gerne offene Auseinandersetzungen und hitzige Diskussionen hätte.

Bräuchte es eine neue Diplomatie?

Ich denke, man muss sich erst die Frage stellen, was man erreichen will. Die nächste Frage ist, wie man dies erreichen kann. Während man früher davon sprach, die Leute mit Glacéhandschuhen anzufassen, hat man den Eindruck, dass jetzt manche die Holzfällerhandschuhe anziehen. Ich glaube nicht, dass das zum allgemeinen Stil der Diplomatie wird. Zum einen nimmt man sich durch die große Offenheit und Direktheit die Flexibilität, von der Anfangsposition abzuweichen und Lösungen im Wege von Kompromissen zu erreichen. Zum anderen muss man immer beachten, dass die Form der Kritik sich in verschiedenen Kulturkreisen unterscheidet. Hier ist in der Diplomatie ein hohes Maß an Sensibilität gefordert. Nehmen wir Asien: Wenn Sie dort offen Kritik äußerten, würde Ihr Gegenüber dies oft als persönlich beleidigend ansehen. Die westliche Diplomatie ist oft stark im westlichen Kulturkreis befangen, wo ein offenes Wort bisweilen als erfrischend angesehen wird. So ist denn auch der berühmte Klartext, wenn er verwendet wird, oft mehr an das westliche Publikum gerichtet als an den Gesprächspartner. Man darf aber nicht vergessen, dass es auch andere Umgangsformen gibt. Hier ist kulturelle Sensibilität gefragt. Es ist oft nicht hilfreich, dem anderen die Türe vor den Kopf zu schlagen, man muss sich bewusst bleiben, dass man weiterhin mit ihm an einem Tisch sitzen und verhandeln können muss. Eine ungeschminkte Sprache ist nicht immer der beste Weg zur Zielerreichung; für die Diplomatie gilt, was schon im Lateinischen einen treffenden Ausdruck fand: suaviter in modo, fortiter in re: höflich in der Form, hart in der Sache.

 

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Interview: Verena Düren

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