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Nachdenken über ein Leben als Stripper: Channing Tatum in „Magic Mike“
Foto: Presse

„Ich wollte auf die dunkle Seite des Mondes gelangen“

26. Juli 2012

Channing Tatum über „Magic Mike“, seine Vergangenheit als Stripper und seine jüngsten Karrieresprünge – Roter Teppich 08/12

1980 wurde Channing Tatum in Alabama geboren. Als Achtzehnjähriger verdiente er sich seinen Lebensunterhalt als Stripper in Tampa, Florida. Darüber hat er zusammen mit Steven Soderbergh den Film „Magic Mike“ gedreht, der nun in unseren Kinos anläuft. Tatum ist mittlerweile durch Filme wie „G.I. Joe – Geheimakte Cobra“, „Für immer Liebe“ oder das Filmrevival der Johnny-Depp-Serie „21 Jump Street“ zu einem der kassenträchtigsten Stars in Hollywood aufgestiegen.

engels: Mister Tatum, der Film spielt in Ybor, Tampa, einem der Hotspots für schwules Nachtclubentertainment. Als Sie selbst dort aufgetreten sind, war das tatsächlich vor einem rein weiblichen Publikum?
Channing Tatum: Ja. Es gibt in ganz Florida eine Menge Clubs und Bars für eine schwule Klientel, besonders in Ybor, aber wir sind dort vor einem ausschließlich weiblichen Publikum aufgetreten. Einige der Stripper sind auch als Go-Go-Tänzer in den schwulen Clubs aufgetreten. Das war dann kein Strippen oder revueartige Auftritte, sondern das übliche Vortanzen an exponierten Stellen in den schwulen Clubs. So etwas habe ich nie gemacht. Nicht, dass ich etwas dagegen hätte, es hat sich nur nie ergeben.

Wer ist Ihrer Meinung nach das Zielpublikum von „Magic Mike“?
Wahrscheinlich in erster Linie Frauen und schwule Männer. Aber nicht nur. Einer meiner heterosexuellen Kumpel hat den Film gesehen und dabei total vergessen, dass es um männliche Stripper geht. Es ist einfach eine Geschichte um Jungs, die ihr Ding durchziehen. Also keineswegs ein Frauenfilm im klassischen Sinne und auch keinesfalls ein Film, der nur Frauen anspricht.

Schwang denn auch bei den Dreharbeiten eine homoerotische Atmosphäre mit?
Nein, bestimmt nicht (lacht). Es gab in der Crew sowohl homo- als auch heterosexuelle Menschen, aber es hat allen einfach nur Spaß gemacht. Dieser Film soll weder schwul noch hetero sein, er soll einfach witzig sein und den Leuten Spaß bereiten. Wir haben uns bei den Dreharbeiten zum Narren gemacht, ganz ohne sexuelle Untertöne. In den USA ist es auch nicht so, dass Frauen in solche Stripshows gehen, um sich einen sexuellen Kick zu holen. Meiner Meinung nach gehen sie dort hin, um ihre Freundinnen, die neben ihnen sitzen, in Verlegenheit zu bringen. Wenn sich ein großer, verschwitzter Kerl auf ihre Freundin draufsetzt, wollen sie sehen, wie dieser die Schamesröte ins Gesicht steigt. Als wir für diesen Film geprobt haben und sich Steven Soderbergh die einzelnen Auftritte und Tänze angesehen hat, ist er ebenfalls knallrot angelaufen, weil er so stark lachen musste.Er konnte einfach nicht glauben, was wir in dem Film für Nummern aufführen wollten. Das reizte ihn auch an der Thematik – er hatte so etwas noch nie zuvor gesehen und natürlich auch noch nie in einem seiner Filme gezeigt. Aber es passte in sein Faible für verschrobene kleine Subkulturen, subversive Figuren und seltsame Welten.

Wie seltsam ist es, im Stringtanga zu drehen?
Das ist sehr seltsam, besonders für einen Kerl. Es war wirklich äußerst befremdlich für mich, obwohl ich es ja tatsächlich schon einmal getan hatte. Aber damals war ich wahrscheinlich zu jung, um die Verrücktheit dahinter zu erkennen. Als Achtzehnjähriger hatte ich einfach meinen Spaß dabei, aber mittlerweile hatte ich die Zeit, darüber nachzudenken (lacht). Für einen Dreißigjährigen ist es jedenfalls eine sehr seltsame Angelegenheit.

Gibt es in den Berufen eines Schauspielers und eines Strippers nicht auch Parallelen?
Außer der Tatsache, dass beide auf einer Bühne arbeiten, erkenne ich da eigentlich keine Parallelen. Schauspielerei entspricht der Wirklichkeit, das Strippen ist überlebensgroß. Man spielt dabei Rollen, die es in der Wirklichkeit meiner Meinung nach überhaupt nicht gibt.

Aber Schauspieler werden auch manchmal zum Objekt degradiert und nur nach ihrem Aussehen beurteilt, genau wie Stripper. Wie fühlt sich das denn an?
Unser Film soll doch einfach nur Spaß machen, wir wollten damit das Rad nicht neu erfinden. Frauen werden doch schon seit Ewigkeiten zu Objekten degradiert, wir wollten da einfach mal einen anderen Aspekt ins Spiel bringen. Aber als Schauspieler fühle ich mich keineswegs zum Objekt degradiert, ich liebe meine Arbeit wirklich.

Hatten Sie also nie den Eindruck, Sie müssten in einem Film Ihr Hemd nur deswegen ausziehen, weil die Zielgruppe Sie so sehen möchte?
Wenn es im Drehbuch steht und sinnvoll ist, dass ich das Hemd ausziehe, dann mache ich das auch. Das stößt mir nicht sauer auf. Wenn die Handlung an einem Strand spielt, würde man dort ja auch nicht mit einem hochgeschlossenen Anzug auftauchen.

Wie wichtig ist es für Sie, in Form zu bleiben?
Ich mag es, athletisch zu sein. Wie ich aussehe, kümmert mich dagegen nicht.

Gab es am Set Konkurrenzsituationen, wer besser aussah oder besser tanzte?
Nein, überhaupt nicht. Wir mussten uns alle zum Narren machen, uns auf die sprichwörtliche Planke begeben, uns etwas trauen – und fühlten uns deswegen alle gleichberechtigt. Normalerweise ist es bei Dreharbeiten so, dass man sich in seinen Trailer zurückzieht oder nach Hause fährt, wenn die eigene Szene im Kasten ist. Hier war das anders. Hier blieben alle da, weil es so viel Spaß machte, den Film zu drehen.

Waren die Frauen im Publikum bezahlte Statistinnen?
Ja, das waren sie. Es ist schon lustig, aber ich hatte wirklich mal darüber nachgedacht, dafür einfach Frauen von der Straße zu engagieren. Aber die amerikanische Schauspielergewerkschaft hätte uns das nicht durchgehen lassen.

Wie unterscheidet sich ein guter Strip von einem schlechten?
Jeder Einzelne in unserem Film hatte meiner Meinung nach etwas Besonderes. Kevin Nash beispielsweise ist 2,08 Meter groß und kein besonders guter Tänzer, deswegen musste er seinen Strip theatralischer anlegen. Er hat aus seiner Figur einen echten Charakter gemacht. Eigentlich ist er Wrestler, deswegen hat er im Film auch einen Showkampf bekommen. Jeder hat so seine Eigenarten, Dinge, in denen er besonders gut ist, und diese Dinge haben wir bei den individuellen Auftritten dann besonders betont.

Hat der Film Ihr Bewusstsein gegenüber Ihrer eigenen Körpersprache geschärft?
Das Strippen hat meinen Umgang mit Sexualität nicht verändert, weil es meiner Meinung nach wirklich gar nichts mit Sex zu tun hat (lacht). Wir haben uns auf der Bühne wie Clowns verhalten, haben verrückte Kostüme getragen und die Leute zum Lachen gebracht und ihnen Spaß bereitet. Nicht das Strippen, sondern das Tanzen hat mich dazu gebracht, mehr auf meine Körperhaltung zu achten. Wenn meine Ehefrau ein Zimmer betritt, und sie ist die beste Tänzerin, die ich je gesehen habe, dann bewegt sie sich mit Leidenschaft, und das ist sehr sexy.

Hat das Strippen damals Ihren Charakter verändert, haben Sie dabei etwas gelernt?
Ich habe gelernt, dass man dabei leicht auf die schiefe Bahn geraten kann. In Wirklichkeit ist das ein düsteres Metier, das wir im Film weniger düster dargestellt haben, als es tatsächlich ist. Ich war achtzehn, neunzehn Jahre alt und total verrückt, suchte nach einem Kaninchenloch, in das ich hineinspringen konnte, um sozusagen auf die dunkle Seite des Mondes zu gelangen. Und ich habe eines gefunden (lacht). Ich wollte in einer Welt aus Sex, Drugs und Rock’n’roll leben. Aber ich habe, Gott sei Dank, rechtzeitig den Absprung geschafft. Ich hatte weder mit Drogenproblemen zu kämpfen noch mit ungeplanten Kindern (lacht).

Wie weit würden Sie hinsichtlich Nacktszenen vor der Kamera gehen, könnten Sie sich auch echten Sex vor der Kamera wie bei Lars von Trier vorstellen?
Ich glaube nicht, dass ich vor der Kamera echten Sex haben würde, ich glaube, dass dazu keinerlei Notwendigkeit besteht. Ich mag generell Sexszenen in Filmen nicht besonders. Wenn ich Angelina Jolies Brüste sehe, dann lenken die mich nur von ihrer Filmfigur ab. Wenn sich zwei Charaktere im Film ineinander verlieben, besteht doch noch lange nicht die Notwendigkeit, dass man sieht, wie sie miteinander ins Bett gehen. Ich würde jetzt nicht generell ausschließen, mich komplett nackt vor der Kamera zu zeigen, aber, wie gesagt, es müsste schon eine inhaltliche Notwendigkeit dazu bestehen.

Sie schwimmen derzeit auf einer Erfolgswelle – fühlt es sich für Sie selbst auch so an, wie wenn eine neue Phase Ihrer Karriere begonnen hätte?
Es kommt mir tatsächlich ein wenig so vor, als würde ich gerade in eine neue Phase eintreten oder mich in eine neue Richtung weiterentwickeln. Vor ungefähr achteinhalb Jahren sagte mir meine Schauspiellehrerin, dass es zehn Jahre dauern werde, bis ich ein guter Schauspieler sei. Ich glaube, dass ich so langsam an diesen Punkt komme. Mit jedem Film glaube ich, besser zu werden. Am Anfang hatte ich ja auch kaum Erfahrungen, ich habe das Ganze während des Filmens gelernt. Heute produziere ich auch Filme, und erst dabei bekomme ich nach und nach einen umfassenden Einblick darüber, wie eine Geschichte aufgebaut ist, welche Funktion meine Figur innerhalb der Geschichte hat, wie man einen Film plant und wie man ihn anschließend verkauft. Mir gefallen all diese verschiedenen Aspekte des Berufs. Man kann einen wirklich tollen Film drehen – wenn ihn anschließend niemand sieht, ist er bedeutungslos, liegt einfach in irgendwelchen Regalen rum. Deswegen sollte man auch als Schauspieler aktiv werden, wenn einem etwas an einem Film liegt. Wenn man Zeit damit verbracht hat, ihn zu drehen, sollte man auch Zeit investieren, die Leute dazu zu bringen, ihn sich anzuschauen, ihnen klarzumachen versuchen, warum man ihn gedreht hat und warum es wichtig war, dass er gedreht wurde.

Sie sind also Produzent geworden, um Ihre Figuren und die Arbeit des Regisseurs vor dem Studio zu schützen?
Ja, diese Punkte spielen alle mit hinein. Aber ich liebe auch einfach den Entstehungsprozess eines Films. Das hat schon bei dem Film „Das Leuchten der Stille“ angefangen, bei dem ich lediglich als Schauspieler involviert war. Aber ich habe mitgeholfen, den Drehbuchautoren zu finden und gemeinsam im Team die Geschichte in die richtigen Bahnen zu lenken. Dabei hatte ich damals davon noch keinerlei Ahnung. Durch die Arbeit mit meinem Geschäftspartner, dem Autoren Reid Carolin, hat sich das in der Zwischenzeit geändert, und ich bin dadurch auch ein besserer Schauspieler geworden. „Magic Mike“ haben Soderbergh und ich komplett alleine finanziert, von unserem eigenen Geld. Wir haben genau den Film gemacht, den wir machen wollten, ohne dass uns ein Studio reinreden konnte.

Interview: Frank Brenner

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