Waren die Kinos während der Pandemie leer, haben Kerstin Hamburg, Vorstandsvorsitzende von Tanzrauschen e.V., und der Dramaturg Marc Wagenbach die Zeit genutzt, um den Tanzfilm „Searching for Phoenix“ zu produzieren. Er ist Teil der europäischen Kooperation „mAPs – migrating Artists Project“, mit deren Hilfe fünf Produktionen aus Finnland, Frankreich, Italien, Griechenland und Deutschland realisiert werden konnten. Die Deutschlandpremiere wird vom 19. bis 21. August von Screenings, Panels und Workshops in Wuppertal begleitet. engels sprach mit Kerstin Hamburg und Marc Wagenbach über ihre Erfahrungen im Laufe des Projekts.
engels: Wie muss man sich die digitale Kommunikation zwischen Filmschaffenden vorstellen, die zwischen Kreta und dem Nordcap leben?
Marc Wagenbach (MW): Erstmal sprach man im Zoom eine halbe Stunde über die persönliche Situation. Die war sehr unterschiedlich. Beginnend mit den Geschehnissen in Bergamo. Jedes Land ist anders durch die Pandemie gekommen, da gibt es unterschiedliche Mentalitäten. Man muss im Digitalen lernen, mit Konflikten umzugehen. Dazu braucht es eine Redekultur, die man sich erst erwerben muss. Gemeinsam haben wir die Krise durchgestanden. Darauf bin ich stolz. Wir haben Europa wirklich gelebt.
Kerstin Hamburg (KH): Schwierig war auch, das entstandene Material digital aufzubereiten, um es anderen Teilnehmern überhaupt zeigen zu können. Dann haben uns die Förderprogramme nicht unbedingt geholfen. Neue Ideen trafen da auf Förderungen, denen alte Konzepte zugrunde lagen.
Hat die Erfahrung des Lockdowns ästhetischen Niederschlag im Tanzfilm gefunden?
KH: Ja, die Pandemie hat Veränderungen bewirkt. Viele Choreographen haben den Tanzfilm für sich entdeckt und sich plötzlich auf die Frage konzentriert, wie muss man eine Choreographie für die Kamera machen.
In den aktuellen Tanzproduktionen auf der Bühne taucht das Thema Nacktheit vermehrt auf. Ist das im Tanzfilm ähnlich?
MW: Uns ist aufgefallen, dass viele Hände zu sehen sind. Die Sehnsucht nach körperlicher Nähe sucht nach Ausdruck in den Bildern. Dazu gehört die Frage: Wie kann man Nähe generieren und sie dann transformieren? Von Bedeutung ist auch wie man Konflikte strukturiert, so dass aus ihnen etwas anderes entsteht. Wir haben gesehen, wie zerbrechlich unsere Lebensstruktur ist und dass wir wieder lernen müssen einander zu begegnen.
Spielt der Blick des Publikums eine Rolle?
KH: Im Laufe der Arbeit hat sich unser Bewusstsein für das Publikum verändert. Denn es ist ein großer Unterschied, ob ich ein Bühnen- oder ein Bildschirmpublikum habe. Während des Projekts waren die Stadtgesellschaften der fünf Länder stets in Form von Interviews und Workshops involviert. Das Thema war die Macht. Gegen den wachsenden Extremismus erprobte das migrating Artists Project die Vision eines solidarischen Lebens und Arbeitens in Europa.
Zu den Reizen des Tanzfilms gehört die Freiheit im Umgang mit dem Raum.
KH: Ja, die Suche nach einem Außenraum ist eine eigene Herausforderung. Draußen hat man dann allerdings auch schon eine Kulisse, während man die im künstlichen Raum erst herstellen muss.
MW: Die Bedeutung des Raums besteht darin, dass er zum Sinnbild des inneren Zustands wird. Der griechische Film „Mutations“ beginnt etwa mit einer Demonstration. Dabei stellte sich die Frage, wie besetzt man Öffentlichkeit? Wie können Körper Raum greifen? Letztlich geht es dabei um Ermächtigungsstrategien.
KH: Für die Bildgestaltung ist der Umgang mit Leere wichtig. Man ist dann auf sich zurückgeworfen, wenn man entscheiden muss, wie die Leere mit Sinn gefüllt werden soll.
Wie würden Sie Tanzrauschen e.V. beschreiben?
KH: Wir haben unterschiedliche Mitglieder im Verein, aus den verschiedensten Richtungen und Generationen. Was sie vereint ist vielleicht, dass sie Bürger dieser Stadt sind, für die der Tanzfilm ein Medium des sozialen Wandels darstellt. Im Grunde ist allen daran gelegen, Menschen zusammen zu bringen.
MW: … wir sind ein heterogener Haufen. (lacht)
KH: Unsere Arbeit umfasst Präsentationen von Tanzfilmen, wir produzieren aber auch Filme und stellen ein internationales Netzwerk her. Mit der Multichannel-Installation „1001 Lights“ von Mouvement Perpétuel aus Kanada, die sich mit der jüdischen Tradition des Innehaltens beschäftigt, positionieren wir uns zum Beispiel bewusst politisch.
Wie geht es weiter?
MW: Im nächsten Jahr werden wir groß feiern, denn dann werden wir unser Zehnjähriges haben.
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