Der Film zum Buch? Das Kochbuch zum Film? Das Restaurant zum Buch? Das Buch zur Familie? Die Familie zur Frau? Die Kolumne zum Leben? – Bei Jan Weiler scheint irgendwie alles zusammenzuhängen... Als sicher dürfte gelten, dass am Anfang der Erfolgsgeschichte die Begegnung des Journalisten mit seinem späteren Schwiegervater steht. Jener Italiener, den Weiler eines Tages um die Hand der Tochter bitten musste, eröffnete ihm nicht nur einen sehr persönlichen Einblick in das Schicksal vieler „Gastarbeiter“, sondern auch einen ganz neuen, „italienischen“ Blick auf Deutschland.
Als das SZ-Magazin im Jahr 2002 eine Italien-Sonderausgabe plante, steuerte Jan Weiler, damals Chefredakteur des Blattes, mit eher gemischten Gefühlen ein Portrait seines Schwiegervaters bei, der in den 70er Jahren nach Krefeld kam und in einem Stahlwerk arbeitete. Die Resonanz jedoch war durchweg sehr positiv, und so reifte in Weiler der Entschluss, der Geschichte des Gastarbeiters intensiver nachzuspüren. Gemeinsam mit dem Schwiegervater brach er zu einer Reise auf, zu einer Reise nach Italien und zu den Wurzeln der Familie, in die er eingeheiratet hatte. Das Ergebnis trat wenig später unter dem Titel „Maria, ihm schmeckt’s nicht!“ seinen Siegeszug auf dem Buchmarkt an. Über 1,5 Millionen mal ging der Titel bislang über den Ladentisch. Unter dem Namen Antonio Marcipane wurde der bauernschlaue Süditaliener schnell zu einer wahren Kultfigur. Dabei bedient Jan Weiler in seinen mittlerweile zwei Büchern über seine bikulturelle Familie genüsslich so ziemlich jedes Klischee, das über Italiener existiert. Sein Geheimrezept liegt dabei in der liebevollen Sichtweise, aus der er die vermeintlichen Macken und Eigenarten seiner Sippe betrachtet. Mit seinem locker-humorvollen Tonfall vermag er auch Themenbereiche wie die latente Fremdenfeindlichkeit auf der einen Seite und Integrationsprobleme auf der anderen Seite anzusprechen, ohne allzu moralisierend zu klingen.
Humor im Abo
Doch Weiler will sich nicht allein auf diese Schiene festlegen lassen. In seinen wöchentlichen Kolumnen „Mein Leben als Mensch“ spielt die Familie zwar regelmäßig eine Rolle, doch von dem multikulturellen Mikrokosmos schweift er über Erziehungsfragen bis hin zum politischen Weltgeschehen. Nach Jahren im „Stern“ erscheint die Kolumne seit August in der „Welt am Sonntag“. „Alle Welt zieht ja momentan nach Berlin. Und so zieht auch meine Kolumne von Hamburg nach Berlin“, scherzt Weiler, „und sie fühlt sich dort auch ganz wohl.“ Man braucht aber kein „WamS“-Abo, um in den Genuss der Texte zu kommen: Auf seiner Homepage bietet der Autor ein Online-Abo für die Kolumnen an. In Kürze soll es losgehen, dann kann man gegen Bezahlung jeden Montag eine neue Kolumne erhalten – als pdf oder auch als Audio-Datei, „liebevoll und fehlerfrei vorgelesen“. Hier beschreitet Weiler einen für Autoren (noch) recht ungewöhnlichen Weg, seine Texte unters Volk zu streuen. Das traditionelle Buch wird dabei allerdings nicht vernachlässigt: Am 18. September erscheinen die gesammelten Kolumnen aus der „Stern“-Zeit in Buchform.
Von der Familie in die Anstalt
Der große Erfolg der autobiographisch inspirierten deutsch-italienischen Familiengeschichten hat aber auch seine Schattenseiten: So wird der Autor Jan Weiler hauptsächlich über diese definiert. Weil es aber auf Dauer im Literaturbetrieb schwierig sein kann, nur „der mit dem italienischen Schwiegervater“ zu sein, stellte Weiler 2008 mit einem rein fiktiven Roman „Drachensaat“ unter Beweis, dass er auch anders kann: Ein Psychiater schart in einer seltsamen Privatklinik ein Häuflein skurriler Gestalten um sich, die aus jeglicher gesellschaftlicher Spur ausgeschert sind. Weilers Humor ist hier schwärzer und der Witz versteckter als in seinen Kolumnen oder Antonio-Geschichten. Der Roman gipfelt in bitterer Medien- und Gesellschaftskritik. Dennoch sieht Weiler Parallelen zu Antonio: „Letztlich geht es mir immer um Außenseiter. Antonio ist ja auch ein Außenseiter, wenn auch nicht so sehr wie die Drachensaat-Truppe. Mich interessieren gescheiterte Personen einfach mehr als Helden, sie bieten die besseren Geschichten.“
Zu starker Tobak?
Doch nicht alle Fans folgten Weiler widerspruchslos auf dem Weg ins Kuckucksnest. So stieß vor allem eine Szene, in der ein Vater mit seinem geistig behinderten Sohn ein Bordell aufsucht, an die Grenzen vieler Lesegewohnheiten. „Ursprünglich war diese Passage weitaus drastischer“, verrät Weiler, „aber mein Lektor hat mir eindringlich geraten, daran zu streichen. Ganz verzichten konnte und wollte ich auf diese Stelle aber nicht. Für die Entwicklung des Protagonisten ist dieser Moment ungeheuer wichtig. Außerdem reizte mich dieser Balanceakt, in dem die durchaus ambivalente Vaterliebe an den Grenzen eines Tabus rührt.“ Auch, wenn Weiler einige Antonio- Fans mit diesem Roman vor den Kopf gestoßen hat, so hat er jedoch neue Leser hinzugewonnen, denen die deutsch-italienischen Anekdoten hingegen zu leicht und seicht daherkommen. „Es ist schon seltsam, welche Probleme wir Deutschen mit dem Begriff Unterhaltungsliteratur haben. Diese strikte Trennung von U und E gibt es nirgendwo sonst.“
Fisch und Fleisch
Der gebürtige Düsseldorfer wohnt mit seiner Familie in einem Dorf ganz in der Nähe des Starnberger Sees. Um sich zum Schreiben zurückziehen zu können, nutzt er eine kleine Fischerhütte am Seeufer. Auf die Frage, ob das Wasser nicht zu verlockend ist, um diszipliniert ans Werk zu gehen, winkt er ab: „Ich kann doch eh nicht schwimmen …“
Eine weitere Eigenschaft, die Weiler mit seinem Alter Ego in den Kolumnen gemein hat, ist die Abneigung gegen Meeresfrüchte. Das bedeutet aber bei weitem nicht, dass er die kulinarischen Reize Italiens nicht zu schätzen wüsste: Nicht weit von seinem Wohnort ist Weiler an einem kleinen Restaurant beteiligt. „Mein Freund Corbinian Kohn kocht, sein Vater Christian hat die Einrichtung gebaut, und ich sitze herum und denke mir Geschichten aus. Tolle Arbeitsteilung.“ Ein Kochbuch zum Restaurant ist seit kurzem ebenfalls auf dem Markt. Weilers Schwiegervater wird sicherlich stolz sein, dass sein literarisches Alter Ego zum Namenspatron der „Vinoteca Marcipane“ geworden ist. Nur eines ist für ihn noch großartiger: In der Verfilmung des Romans „Maria, ihm schmeckt’s nicht!“ wird die Rolle des Antonio gespielt von Lino Banfi, einem wahren Star des italienischen Kinos. Dass er selbst in dem Film von Christian Ulmen gespielt wird, findet Weiler durchaus passend. Schließlich ist Ulmen ebenfalls mit einer Halb-Italienerin verheiratet...
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