Unter Wasserarmut leidet unsere Stadt nicht. Ein Blick aus dem Fenster genügt oft, um diese Behauptung zu belegen. Regenwolken sind die Regel, Sonnenschein die Ausnahme. Wuppertal gilt sogar als die regenreichste Stadt Deutschlands. Trotzdem, so wird seit Monaten diskutiert, könnten in absehbarer Zeit die Preise für Leitungswasser drastisch steigen und dazu dessen Qualität erheblich sinken. Dieses Szenario entwirft die Initiative „Right2water“, eine europaweite Kampagne gegen Pläne aus Brüssel.
Die Europäische Kommission hat nämlich vor gut einem Jahr den Entwurf einer Konzessionsrichtlinie vorgestellt, die die europaweite Ausschreibung kommunaler Versorgungsleistungen zwingend vorschreibt. Dann würden, so die Befürchtung der Kritiker dieser Richtlinie, die Versorgung mit Trinkwasser nicht mehr Stadtwerke und andere öffentliche Unternehmen gewährleisten, sondern diese würde von großen Konzernen übernommen werden. Welche Folgen eine solche Umstrukturierung hätte, lässt sich in Großbritannien sehen. In London wurde bereits unter der Regierung von Margaret Thatcher in den 1980er Jahren die Wasserversorgung privatisiert. Stark steigende Kosten für die Endverbraucher und stark sinkende Qualität des Wassers waren die Folge. Die Versorgungssicherheit war nicht mehr gewährleistet. An manchen Tagen kam einfach kein Wasser mehr aus dem Hahn. In vielen südeuropäischen Ländern stehen die Versorgungsunternehmen nun aktuell zum Verkauf, um den bankrotten Staatsfinanzen ein wenig auf die Beine zu helfen. Gerade in den eher regenarmen Ländern ist mit dem „blauen Gold“ viel Geld zu verdienen. „Mit Wasseraktien stehen die Anleger ordentlich im Plus“ vermeldete bereits im August letzten Jahres die Zeitschrift „Focus money“. Aber auch bei uns ist Wasser ein lukratives Geschäft. Wettbewerb findet nicht statt. Anders als Gas und Strom kann nicht ein Netz genutzt werden, um die Ware von mehreren konkurrierenden Anbietern zu verschiedenen Abnehmern zu befördern. Wasser möchte, das liegt in der Natur der Sache, ungern bergauf fließen. Deshalb sind die Netze dezentral, aber auch monopolistisch organisiert. Wer Wasser in den Wasserturm pumpt, ist alleiniger Anbieter. Würden nun Konzerne in Deutschland die Wasserversorgung übernehmen, wäre, ähnlich wie in London, mit Preiserhöhungen und Qualitätseinbußen zu rechnen. Statt in teure Wasseraufbereitungsanlagen und die Instandhaltung der Leitungsnetze zu investieren, müssten Unternehmensvorstände zunächst an die Dividende der Aktionäre denken.
In Wuppertal waren lange Zeit die Stadtwerke allein für die Wasserversorgung zuständig. Vor zwölf Jahren stieg RWE ein, doch jene „strategische Partnerschaft“ bewährte sich nicht. Man trennte sich wieder. 2009 übernahm der französische Mischkonzern GDF Suez ein Drittel des Kapitals der Stadtwerke. Dieser Umstand machte den Verantwortlichen in Wuppertal nach Bekanntwerden der Brüsseler Pläne zusehends Kopfschmerzen. Wäre die Stadt alleiniger Eigentümer, wäre die Verordnung der EU nicht wirksam. So aber könnte bald das Wasser an der Wupper von einem multinationalen Konzern vermarktet werden. Um dies zu verhindern, kauft nun die Stadt Wuppertal ihren Anteil an der Wasserversorgung zurück. Für Wuppertal scheint die Gefahr also vorerst gebannt.
Die Pläne aus Brüssel können beim Bürger die Europaverdrossenheit fördern
Wer allerdings generell die Richtlinie aus Brüssel stoppen will, kann bis September eine entsprechende Erklärung auf der Homepage der Initiative „Right2water“ unterschreiben. Bislang sind über 1,2 Millionen Unterschriften zusammengekommen. Bis September planen die Aktivisten, zwei Millionen Einwendungen gesammelt zu haben. Spätestens dann muss sich die Europäische Kommission noch einmal mit ihrer Vorlage befassen. Aber jetzt schon zeigt der Protest Wirkung. Der Kommissar für Binnenmarkt und Dienstleistungen Michel Barnier äußerte bereits, dass eine Privatisierung der Wasserwirtschaft nicht angestrebt wird. Die Pläne aus Brüssel mögen zunächst beim Bürger die Europaverdrossenheit fördern. Wieder wird von weit weg etwas bestimmt, was vor Ort fatale Auswirkungen hat. Aber die Konzessionsrichtlinie der Kommission bewirkt auch etwas anderes. Anders als bei der Finanzkrise beteiligen sich Bürger aus armen und reichen Mitgliedsstaaten an einer breiten Protestbewegung. Wenn europaweiter Widerstand gegen die Politik der Europäischen Union Schule macht, kann Europa tatsächlich demokratischer und somit attraktiver werden.
Ein anderer Aspekt des Themas Wasser ist für unsere Region interessant. Die Wupper galt zu Zeiten der Industrialisierung als fürchterliche Kloake. Eher noch als in anderen Regionen kümmerten sich die Anrainer aber um effektive Kläranlagen. Inzwischen ist die Wasserqualität des Flusses vorbildlich. Mitten in der Stadt kann man Fischreiher beobachten. Die Ufergebiete gelten als Musterbeispiele für Artenvielfalt. Das Wasser der Wupper hat sich von den Torturen des letzten Jahrhunderts erholt. Bleibt zu hoffen, dass unser Trinkwasser nicht durch die Pläne der Europäischen Kommission Schaden nimmt.
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