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ZUR PERSON Der Dirigent François-Xavier Roth (43) stammt aus Paris und wird zum 1. September neuer Generalmusikdirektor der Stadt Köln und Kapellmeister des Gürzenich-Orchesters.
Foto: Mathias Baus

„Rendezvous mit einem neuen Publikum“

30. Juli 2015

Der kommende Gürzenich-Kapellmeister und Generalmusikdirektor der Stadt Köln François-Xavier Roth – Klassik am Rhein 08/15

engels: Herr Roth, was bedeutet der Titel GMD für Sie?
François-Xavier Roth: Ich denke, es ist mehr als ein Titel. Ich verbinde damit eine Vision für das Orchester, mit dem ich Musik an verschiedenen Orten der Stadt, z.B. dem Dom oder an unbekannten Stätten aufführen will. Hauptziel wird sein, Menschen, für die Musik nichts Alltägliches bedeutet und die vielleicht noch nicht für die Musik offen sind, zu erreichen. Wenn die nicht zu uns kommen, holen wir sie ab. Meine erste Frage als GMD und Gürzenich-Kapellmeister lautet: Was könnte Musik in Köln als kultureller Bestandteil bedeuten?

Wie gehen Sie diesen Plan an?
Wir planen deshalb neue Rendezvous mit einem neuen Publikum, das die Aktivitäten des Gürzenich-Orchesters noch nicht so gut kennt. Wir planen bereits eine Kooperation mit dem Museum Ludwig für ein Ausstellungsprojekt „La Création du Monde“, wir gehen in einen Club für unser „city life“-Projekt, und wir haben ein „intergalaktisches Konzertspektakel mit Tanz und Musik“ vorbereitet für Schüler, mit denen wir das Gustav-Holst-Werk „Die Planeten“ realisieren. Dazu intensivieren wir unsere Schulbesuche und unsere Aktivitäten zu Kinderkonzerten. Wir nehmen die Leute ins Visier, die unsere Musik nicht oder noch nicht erleben.

Solche Aktionen erreichen natürlich nur Minderheiten. Glauben Sie an die Effektivität solcher Einsätze?
Ich habe in Frankreich mit meinem Orchester „Les siècles“, in Deutschland in Baden-Baden und in England mit dem London Symphony Orchestra eindrucksvolle Erfahrungen machen dürfen. Unsere Musik kann so viel für unsere Gesellschaft bewirken, besonders wenn sie die jungen Menschen erreicht. Ich hatte in Frankreich eine Fernsehsendung namens „Presto“, die war sehr populär. Wichtig ist, dass wir mit dem gleichen Qualitätsanspruch an diese Projekte gehen, es gibt keine Klassik light für Kinder. Und wir müssen an unsere Idee glauben, dann werden wir etwas erreichen.

Haben Sie denn in den Nachbarländern schon Ergebnisse beobachten können, weg von den grauen Wölfen im Konzertsaal, hin zu einem jungen Publikum?
Das ist eine komplexe Frage. Unsere Aktionen zielen nicht auf eine konkrete Gruppe oder auf ein Wunschverhalten, es sollen nicht plötzlich alle an die Musikschulen drängen oder ähnliches. Musik kann auf ganz verschiedene Arten das Leben der Menschen bereichern. Es ist schön, wenn wir z.B. bei einem Kind den Wunsch wecken: Ich möchte Flöte lernen. Das ist sogar sehr schön. Es kann aber auch sein, dass nur der Wunsch entsteht, häufiger ins Konzert zu gehen. Oder, dass ich am Abend gern mit der Familie Musik hören möchte – Musik wird ein Teil des Lebens. Wir sind in einer Gesellschaft, der Live-Musik zunehmend fremd wird. Sie erlebt Kultur vor allem im Internet oder im Fernsehen. Kultur allgemein verbessert das gemeinsame Leben, das gemeinsame Verstehen.

Wie kann denn Verbesserung aussehen?
Ich habe in Paris erleben dürfen, wie bei Projekten mit sehr armen Leuten großes Interesse geweckt wurde, wie sich das Aggressionspotential sensationell verminderte. In Tokio gab es ein sehr unruhiges Viertel. Jetzt spielen die jungen Leute dort Musik, die Gewalt nahm radikal ab. Wenn die Menschen und zuvorderst auch die Politik die Relevanz von Kultur auf gesellschaftliche Entwicklungen anerkennen, dann heißt die Lösung: Mit Kultur können wir besser zusammenleben!

Sie haben Flöte gelernt. Sind Sie dabei auch ruhiger geworden?
Ich entstamme einer Musikerfamilie, das ist also ein schlechtes Beispiel. Aber die Musik hat mir in meiner Jugend eine gute Balance gegeben.

Beeinflusst Ihre Vergangenheit als Holzbläser Ihre Arbeit als Dirigent?
Ja, weil ich als Flötist ein Teil des Orchesters war und sehr viel im Orchester gearbeitet und gesehen habe.

Sie haben mit „Les siècles“ ein historisch und gleichzeitig modern orientiertes Orchester gegründet. Welche Idee steckte dahinter?
Ich habe Nikolaus Harnoncourts Zukunftsvision gelesen, in der ein Musiker morgens Bach und abends Berio aufführt. Das funktioniert mit meinem Orchester Les siècles, da es ein Projekt-Orchester ist. Mit einem permanenten Ensemble ist das wesentlich komplizierter. Sie dürfen nicht vergessen, dass z.B. die Musiker des Gürzenich-Orchesters mit ihren Aufgaben in der Oper und im Konzertbetrieb schon sehr gefordert sind. Aber wir haben angedacht, für bestimmte Programme auch auf historische Instrumente zurückzugreifen – das gab es aber auch bereits in der Vergangenheit, nur für die Hörner wäre das wohl neu.

In den von Ihnen dirigierten Konzerten der kommenden Spielzeit finden wir regelmäßig ein Werk der klassischen Moderne. Ein Hinweis für die Zukunft?
Ich liebe die Musik aus allen Epochen. Und ich möchte den Zuhörern durch die Aufführung zeitgenössischer Werke einen neuen Schlüssel zu den Werken von Bach und Beethoven anreichen – aus dieser Perspektive des Neuen können wir das schon Bekannte anders erleben. Ich habe guten Kontakt zu den führenden Komponisten unserer Zeit, und ich hoffe, wir können mit diesen Künstlern auch einmal ein Risiko eingehen – Köln war einst Avantgarde. Wir könnten eine zeitgemäße Form entwickeln und kreativ werden: Wir sind in einer Stadt, wo alles passieren kann.

Neue Musik macht in Köln, dem einstigen Avantgarde-Zentrum, nicht alle glücklich.
Ich bin kein Kamikaze-Flieger. Mir geht es um die Idee und die Haltung. Ich kombiniere z.B. zwei Blockbuster von Mozart, Sinfonie Nr. 40 und Konzertarien mit „der“ angesagten Mozart-Sopranistin, mit der Uraufführung eines Auftragswerks von Philippe Manoury: Da können die Neutöner und die Traditionalisten gleichermaßen auf ihre Kosten kommen, für beide gibt es Neues zu erleben. Man denkt oft zu banal, das Publikum hätte festgefahrene Vorlieben. Genau weiß das niemand. Ein Konzert ist kein Museum. Paris hat gerade bewiesen – mit dem Bau eines neuen Konzertsaals, der auch umstritten war –, dass sie ein neues Publikum finden konnten. Der Riesensaal ist seit Januar immer voll, 40 % sind Ersttäter. Auch das Kölner Publikum hat viele Gesichter.

Könnten Sie uns ein typisches Wunschprogramm skizzieren, das Sie in fünf Jahren auf dem Programm sehen wollen?
Das möchte ich heute nicht formulieren, die Antwort kenne ich nicht. Mein Wunsch wäre, dass das Orchester, sein Dirigent und das Publikum in fünf Jahren zusammengefunden haben. Nur zusammen können wir etwas Besonderes erreichen.

Weitere Informationen unter: guerzenich-orchester.de

INTERVIEW: OLAF WEIDEN

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