Engels: Herr Fischedick, wie bewerten Sie die Reaktorkatastrophe von Fukushima?
Manfred Fischedick: Wir mussten zur Kenntnis nehmen, dass Szenarien, die eigentlich nicht für möglich gehalten werden, eintreten können. Eine Verkettung von Unglücken kann zur Katastrophe führen. Fukushima bedeutet, dass wir die Risiken der Kernenergie nicht nur national sondern auch international neu bewerten zu müssen.
Deutschland muss aus der Atomenergie aussteigen?
Aus meiner Sicht muss der Ausstieg wesentlich schneller erfolgen, als dies die Bundesregierung vor der Katastrophe in Japan plante. Dies haben wir schon vor der Erstellung des Energiekonzeptes gesagt und ist nicht nur aus Risikogründen vernünftig, sondern weil Kernkraftwerke wegen ihrer schlechten An- und Abfahrdynamik dauerhaft nicht mit einem Ausbau erneuerbarer Energien zusammen passen.
Können Sie eine Jahreszahl nennen?
Die sieben Kraftwerke, die vor 1980 gebaut wurden und bereits abgeschaltet sind und auch der Reaktor in Krümmel können dauerhaft vom Netz bleiben. Dies hätte keine negativen Folgen für unsere Versorgungssicherheit. Die restlichen Kraftwerke könnte man in den nächsten fünf bis zehn Jahren stilllegen, entsprechender politischer Willen dies durchzusetzen und für die Alternativen zu werben vorausgesetzt.
Und was passiert mit den Klimaschutzzielen?
Wenn man den Ausstieg über drei Strategien flankiert, ist die der Beitrag der Kernkraftwerke klimaverträglich zu ersetzen. Zunächst kann der Ausbau der erneuerbaren Energien weiter forciert werden. Beim Neubau fossiler Kraftwerke sollte man auf den Energieträger Erdgas setzen und dabei vor allem dezentrale Blockheizkraftwerke mit hoher Brennstoffausnutzung fördern. Die dritte, bislang noch viel zu wenig verfolgte Strategie ist die Reduzierung der Stromnachfrage. Hier rechnen wir mit einem Einsparungspotential von 20 bis 30 Prozent. Stromeinsparung ist dabei nicht nur betriebswirtschaftlich sinnvoll, sondern auch volkswirtschaftlich gesehen ein Gebot der Stunde – eine klassische Win-Win-Situation für Umwelt und Geldbeutel. Die Einsparung forcierende politische Maßnahmen, wie wir sie aus dem Bereich der regenerativen Energien kennen, gibt es hier leider noch kaum.
Hat sich die Ökobewegung in den letzten Jahren zu viel um den Klimaschutz und zu wenig um die Gefahren der Atomkraft gekümmert?
Nein, wir haben in den neunziger Jahren intensiv über die Atomenergie auch im Hinblick auf den Klimaschutz diskutiert. Dann gab es unter der rot-grünen Bundesregierung den Ausstiegsbeschluss. Durch diesen Kompromiss mit den Stromerzeugern hat man das politisch Machbare seinerzeit in Händen gehabt und sich weniger um noch schnellere Ausstiegskonzepte gekümmert.
Welche Konsequenzen sollte die Politik ziehen?
Im letzten Herbst wurde binnen vier Wochen das damals neue Energiekonzept der Bundesregierung verabschiedet und zu Widerständen geführt. Japan macht zusätzlich deutlich, dass wir dringend einen gesellschaftspolitischen Konsens benötigen. Dabei müssen wir uns darüber im klaren sein, dass jede Technologie Nachteile hat, seien es Windparks, Biomasse- oder Kohlekraftwerke sowie der Ausbau von Stromtrassen. Ich wünsche mir eine breite gesellschaftliche Debatte über die Eckpfeiler unseres zukünftigen Energiesystems. So könnte besser entschieden werden, welche Auswirkungen man bereit ist zu akzeptieren.
Unter Rot-Grün war das Wuppertal Institut ein angesehener Lieferant wissenschaftlicher Expertisen. Zur Frage der Laufzeitverlängerung wurden Sie im letzten Herbst von der Bundesregierung nicht gehört?
Nicht nur unter Rot-Grün. Beim Energiekonzept waren wir aber nicht beteiligt. Sonst hätten wir bestimmt die Nuancen anders gesetzt.
Hat die Bundeskanzlerin in den letzten Tagen bei Ihnen angeklopft?
Viele Industrieunternehmen und -verbände haben jetzt bei uns nachgefragt, wie ein Energiesystem in der Zukunft aussehen muss. Frau Merkel hat noch nicht angerufen. Wir würden sie nicht abweisen.
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