„In der Kürze liegt die Würze“? Den Satz haben japanische Mangaka immer schon mit Missachtung gestraft. Mangas mit 500 bis 1000 Seiten pro Einzelband sind keine Seltenheit. Eine Kultserie wie Katsuhiro Otomos „Akira“ kommt auf 2000 Seiten, „Kochikame“ von Osamu Akimoto auf sagenhafte 30.000. Damit ist die autobiografische Trilogie von Shigeru Mizuki mit nicht mal 1500 Seiten eher kurz geraten, obwohl sie die Zeit von 1922 bis 2001 umspannt und neben seinen eigenen Erlebnissen auch viele historische Ereignisse aufscheinen lässt.
Im ersten Band „Kindheit und Jugend“ erzählt Mizuki von der schweren Zeit der wirtschaftlichen Depression und vom herannahenden Zweiten Weltkrieg. Nach seinen Erlebnissen als Soldat im zweiten Band „Kriegsjahre“, erzählt der dritte, gerade erschienene Band „Mangaka“ parallel von Japans Aufstieg zur Wirtschaftsmacht und Mizukis Karriere als Zeichner in der Nachkriegszeit. Der 2015 gestorbene Mizuki gilt als einer der bedeutendsten Mangaka. Er hat als einer der ersten Stoffe für Erwachsene aufgegriffen – von Antikriegsgeschichten über eine Hitlerbiografie bis zur Geschichte Japans. Sein größter Erfolg erzählt vom Waisenjungen „Kitaro“, der die japanische Geisterwelt erkundet. Seine autobiografische Trilogie wird weniger erfahrene Manga-Leser durch seine unhomogene Erzählweise irritiert – schlimmste Erfahrungen werden hier mit schrillem Humor erfasst – und einen ebensolchen Zeichenstil, bei dem akkurate, fast fotografische Hintergründe auf karikaturenhafte Figuren treffen. Spannend sind auch die selbstreflexiven Momente, wenn Mizuki wie schon Yoshihiro Tatsumi in „Gegen den Strom“ von der harten Manga-Branche oder seiner eigenen Arbeit als Zeichner zwischen Selbstzweifeln und großen Erfolgen erzählt.
Noch vor seinen ersten Erfolgen setzt Guy Delisle mit seinem autobiografischen Comic „Lehrjahre“ ein. Indirekt verweist die Geschichte bereits auf seine spätere Arbeit als Zeichner. Denn Delisle, der mit seinen autobiografischen Comics zugleich von seiner Arbeit als auch den fremden Ländern, in denen er arbeitet – von China über Nordkorea und Birma zu Israel – berichtet, hat sich für „Lehrjahre“ an seinen Studentenjob einer Papierfabrik erinnert. Da trifft der feingeistige Kunststudent auf grobschlächtige Malocher, und nebenbei arbeitet er auch noch seine schwierige Beziehung zu seinem Vater auf, der dort als technischer Zeichner arbeitete. An charmanter Selbstironie bezüglich seines jüngeren Ichs mangelt es auch nicht.
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