Wo ist Kino heute? Angesichts von Digitalisierung und Internet diskutieren Film- und Medienwissenschaft diese Frage in den letzten Jahren verstärkt. Das Kino als klassischer Erlebnisraum hat in Zeiten von Fernsehen und Internet keine Monopolstellung mehr. Ein bedeutendes Refugium für den Film waren immer schon Filmfestivals. National wie international bieten sie dem Kino in konzentrierter, dichter Form ein Zuhause. Ausgerechnet das Fernsehen, seinerzeit noch als größte Bedrohung für das Kino gehandelt, kann aber auch ein Exil für den Film sein.
Der französische Fernsehsender TV5Monde vermengt aktuell beide Aspekte zu einer Sonderreihe, die parallel zu und über die diesjährigen Filmfestspielen in Cannes hinaus ausgestrahlt wird. Als international verfügbares und französischsprachiges Vollprogramm bietet TV5Monde generell einen Mix aus Filmen, Nachrichten, Dokumentationen und Magazinen. 40% der Formate des Senders, der sich selbst als „größten Kinosaal der Welt für frankophone Filme“ bezeichnet, sind mit deutschen Untertiteln verfügbar. Die Sonderfilmreihe, die nun französische Spielfilme und Dokumentationen der letzten Jahrzehnte zeigt, wird ergänzt durch Nachrichten direkt von dem 66. Filmfestival in Cannes. Moderator Patrick Simonin führt live von der Croisette exklusive Interviews mit der zahlreichen Filmprominenz vor Ort.
Geburtsstunde des modernen Films
Die Sonderreihe, die inklusive der Wiederholungen vom 15.5. bis 23.6. ausgestrahlt wird, lässt in Cannes ausgezeichnete Filme Revue passieren und liefert eine Bilanz des modernen, französischen Films seit den 1970ern. Diese Zäsur ist nicht nur angesichts der französischen, sondern auch hinsichtlich der Geschichte des modernen Kinos insgesamt stimmig, setzt sie doch da ein, wo sich der moderne Film bereits saturiert hatte. Seit den späten 1950ern hatten französische Regisseure wie Jean-Luc Godard, François Truffaut, Claude Chabrol oder Jaques Rivette das klassische Kino einer Generalüberholung unterzogen. Diese „Nouvelle Vague“ diente nicht nur als Auftakt für ähnliche Erneuerungswellen der Filmkunst anderer Ländern, sondern bildete auch den Ursprung von Filmkritik und -wissenschaft.
Abseits der akademischen Filmhistorie gestaltet sich die Reihe besonders inhaltlich interessant. Die Bandbreite der mit dem filmischen Medium reflektierten Thematiken ist groß. In Claude Gorettas Tragikomödie „L’invitation“ (Die Einladung) von 1973 bröckeln die schönen Fassaden wie auch der bürokratische Gleichmut. In „Rendez-Vous“ aus dem Jahr 1985 erforscht die junge Juliette Binoche Leidenschaft und Eifersucht, Joachim Lafosse „À perdre la raison“ basiert auf einem authentischen Fall einer fünffachen Kindstötung. „Le Nom de Gens“ (Der Name der Leute) von Michel Leclerc stellt federleicht und tiefgründig zugleich kulturelle Identität und Migration vor dem Hintergrund historischer Ereignisse wie dem Algerienkonflikt dar. Um Diskriminierung von Homosexualität geht es in Sébastien Lifshitz „Les Invisibles“ (2012). Mia Hansen-Løves „Le père de mes enfants“ (Der Vater meiner Kinder) ist eine Hommage an den frühen Godard und die Liebe zum Kino, während „Belmondo: Il était une fois le beau monde“ Jean-Paul Belmondo ein filmisches Denkmal setzt. Filmkunst und Politik scheinen eng verwoben.
Wo also ist das Kino 2013? Die Situation vor dem heimischen TV-Gerät mag sich von der im Widerschein des magischen Kinodispositivs unterscheiden. Dennoch bekommt man in der Sonderreihe von TV5Monde besondere Filme zu Gesicht, die in bester Programmkino-Manier im Original mit Untertiteln präsentiert werden. Bei dem einen oder anderen Zuschauer mag dadurch sogar der Wunsch geweckt werden, anspruchsvolle Filme im heimischen Programmkino zu erleben. Liebe manifestiert sich schließlich in zahllosen Formen. Die Cinéphilie im speziellen bezeichnet nicht ohne Grund die Liebe zu Kino und Film gleichermaßen, unabhängig von dem Ort, an dem diese gepflegt wird.
Das ganze Programm sowie weitere Informationen finden Sie unter: www.tv5monde.org
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