Ein altes Paar, das sich auf einer Bank gegenübersitzt; er spielt Saxophon, sie betrachtet ihn mit verliebtem Blick. Die erste Einstellung von „Power of Love“ zeigt das vermeintliche Idealbild einer heterosexuellen Beziehung, wie es lange gelebt wurde: der Mann als Macher, die Frau als passive Bewunderin. Gefilmt ist die Einstellung aus Sicht von Robert (Nicola Perot), der vor Kurzem zu seiner Partnerin Saara (Saara Kotkaniemi) nach Helsinki gezogen ist. Die beiden sind in ihren 30ern. In ihrer Beziehung versuchen sie, nicht in klassische Rollenbilder zu fallen. Stattdessen stehen sie in Konkurrenz zueinander – und geraten dadurch in Konflikte: Etwa wenn Robert eine Absage für ein Stipendium im Rahmen seiner Doktorarbeit erhält, während Saara einen großen Schritt nach vorne in ihrer wissenschaftlichen Karriere macht. Oder wenn Robert und Saara beim Sex regelmäßig mit Unterwerfung und Dominanz spielen.
„Ich wollte einen Film über Machtdynamiken in modernen Beziehungen machen“, sagt Regisseur Jonas Rothlaender bei der Vorstellung seines Films mit den beiden Hauptdarsteller:innen in der Filmpalette. Roberts Umzug zu Saara nach Finnland ist eine Erfahrung, die direkt aus Rothlaenders Leben kommt. Auch er sei vor einigen Jahren der Liebe wegen nach Finnland gezogen und habe sich intensiv mit den Auswirkungen auf das Machtgefälle innerhalb der Beziehung auseinandergesetzt. In seinem Film macht Rothlaender früh deutlich, worum es ihm geht, etwa wenn er Robert beim Schreiben seiner Doktorarbeit am PC zeigt und auf dem Bildschirm die Wörter „Subversion“ und „hierarchische Ordnung“ auftauchen, während neben ihm auf dem Schreibtisch Michel Foucaults Essaysammlung „Power“ liegt. Dennoch wirkt nichts davon plakativ, fügt sich vielmehr in das bewusste Spiel mit Machtdynamiken ein, das die beiden Figuren betreiben. So wie sie miteinander spielen, spielt auch die Kamera und die Erzählung mit den Zuschauer:innen. Nachdem Rothlaender die Konflikte des Paares etabliert hat, lässt er ihnen freien Lauf – bis es schließlich beim Urlaub auf einer einsamen Insel zum Höhepunkt kommt. Kotkaniemi und Perot schaffen es dabei, trotz aller theoretischen Verhandlung von Machtfragen zugleich die Betroffenheit, den Schmerz und die gegenseitige Zuneigung der beiden Hauptcharaktere zu vermitteln.
Schonungsloser Blick auf Beziehungsdynamiken
So wirft „Power of Love“ die Frage auf, ob wirkliche Gleichberechtigung innerhalb einer (heterosexuellen) Beziehung möglich ist – ohne sie abschließend zu beantworten. Dass der Film damit – wie von Rothlaender gedacht – als „gesellschaftlicher Spiegel“ dient, zeigen die Fragen beim Publikumsgespräch nach der Vorstellung. Sie drehen sich um die weitere Entwicklung der Beziehung zwischen Saara und Robert, um die Freiwilligkeit ihrer Entscheidungen, um Opfer und Täter, und um Kotkaniemis und Perots Sympathie gegenüber ihren Figuren. „Es gibt bei diesem Thema keine einfachen Antworten“, betont Rothlaender. „Es ist auch nicht wichtig, ob Saara und Robert am Ende zusammenbleiben oder nicht – sie gehen verändert aus dieser Erfahrung heraus, das zählt.“
„Power of Love“ befasst sich mit der Wechselwirkung zwischen Liebe und Macht, zwischen Zuneigung und Abgrenzung. Der Film ist in seiner Intensität schonungslos. Dass er zugleich nicht in die Hoffnungslosigkeit abdriftet, ist vor allem dem nuancierten Spiel der beiden Hauptdarsteller:innen und den wunderschönen Bildern der finnischen Natur zu verdanken, die ihm eine warme Grundstimmung verleihen.
Hat Ihnen dieser Beitrag gefallen? Als unabhängiges und kostenloses Medium sind wir auf die Unterstützung unserer Leserinnen und Leser angewiesen. Wenn Sie uns und unsere Arbeit finanziell mit einem freiwilligen Betrag unterstützen möchten, dann erfahren Sie über den nebenstehenden Button mehr.
Zermürbte Gesellschaft
choices preview zu „Critical Zone“ im Odeon – Foyer 11/24
Antikes Erbe
„Ramses & das Gold der Pharaonen“ im Kölner Odysseum
Vielfalt, Frieden und Respekt
3. Ausgabe von Shalom-Musik.Koeln – Musik 07/24
Musik in vielen Domen
Im Sommer genießen Musikfreunde Kunstgenuss im kühlen Raum – Klassik am Rhein 07/17
Harmonische Dreharbeiten
Das multikulturelle Roadmovie „Halbe Brüder“ entsteht größtenteils in Köln – Setbesuch 06/14
Hagener Bühne für den Filmnachwuchs
„Eat My Shorts“ in der Stadthalle Hagen – Foyer 11/24
Die ganze Palette Kino
9. European Arthouse Cinema Day – Festival 11/24
Kunst des Nicht-Wegschneidens
„Anna Zeit Land“ im Filmforum – Foyer 10/24
Restitution von Kolonialraubkunst
„Dahomey“ und „The Story of Ne Kuko“ im Filmforum – Foyer 10/24
„Die Geschichte ist jetzt unfassbar aktuell“
Regisseur Andreas Dresen über „In Liebe, Eure Hilde“ – Gespräch zum Film 10/24
Der Sieg des Glaubens
„Führer und Verführer“ im Kölner Odeon mit Regisseur Joachim Lang – Foyer 07/24
„Es geht um Geld, Gerechtigkeit und Gemeinschaft“
Regisseurin Natja Brunckhorst über „Zwei zu eins“ – Gespräch zum Film 07/24
Der Tod, der uns verbindet
NRW-Premiere von Eva Trobischs „Ivo“ – Foyer 06/24
Ein letzter Blick von unten
„Vom Ende eines Zeitalters“ mit Filmgespräch im Casablanca Bochum
Grusel und Begeisterung
„Max und die wilde 7: Die Geister Oma“ mit Fragerunde in der Schauburg Dortmund
Mehr als „Malen-nach-Zahlen-Feminismus“
„Ellbogen“ im Kölner Filmpalast – Foyer 04/24
„Ich mag realistische Komödien lieber“
Josef Hader über „Andrea lässt sich scheiden“ – Roter Teppich 04/24
„Kafka empfand für Dora eine große Bewunderung“
Henriette Confurius über „Die Herrlichkeit des Lebens“ – Roter Teppich 03/24
„Alles ist heute deutlich komplizierter geworden“
Julien Hervé über „Oh la la – Wer ahnt denn sowas?“ – Gespräch zum Film 03/24
Bezeugen, was verboten ist
NRW-Kinopremiere: „Green Border“ von Agnieszka Holland mit Vorgespräch
„Man kann Stellas Wandel gut nachvollziehen“
Jannis Niewöhner über „Stella. Ein Leben.“ – Roter Teppich 02/24
Here
Start: 12.12.2024
All We Imagine As Light
Start: 19.12.2024
Freud – Jenseits des Glaubens
Start: 19.12.2024