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Regisseurin Natja Brunckhorst hat mit „Zwei zu eins“ ihren zweiten Film inszeniert
Foto: Jeanne Degraa – © Natja Brunckhorst

„Es geht um Geld, Gerechtigkeit und Gemeinschaft“

28. Juni 2024

Regisseurin Natja Brunckhorst über „Zwei zu eins“ – Gespräch zum Film 07/24

Bekannt geworden ist Natja Brunckhorst als 14-Jährige, als sie die Titelrolle in Uli Edels „Christiane F.: Wir Kinder vom Bahnhof Zoo“ spielte. Ab den späten 1990er Jahren verlagerte die Schauspielerin ihren Schwerpunkt aufs Drehbuchschreiben. Für „Feuer und Flamme“ erhielt sie den Deutschen Filmpreis, der von ihr mitgeschriebene „Amelie rennt“ bekam die Lola als bester Kinder- und Jugendfilm. Brunckhorsts Langfilmdebüt als Regisseurin, „Alles in bester Ordnung“, entstand 2022. Ihre zweite Regiearbeit läuft am 25. Juli in den Kinos an: „Zwei zu eins“ basiert auf realen Vorkommnissen.

engels: Frau Brunckhorst, „Alles in bester Ordnung“ war ein sehr persönlicher Film. Haben Sie auch einen persönlichen Bezug zu den cleveren Bürgern von Halberstadt?

Natja Brunckhorst: Dieses Mal keinen verwandtschaftlichen (lacht). Im Gefühl widme ich schon jeden meiner Filme einem Verwandten, und in diesem Fall wäre es dann mein Vater, weil für den Geld immer ein großes Thema war. Meine ganzen Darsteller des Films sind im Osten sozialisiert, und eigentlich jeder von ihnen fing bei den Dreharbeiten an, über seine Eltern zu sprechen. Die Wiedervereinigung ist ja nun gerade dreißig Jahre her, und das hat sich wohl zwangsläufig aus diesem Abstand ergeben. Jeder zeigte mir Fotos oder hat mir Geschichten von seinen Eltern aus dieser Zeit erzählt. Das ist wohl irgendwie ein ganz liebevoller Film für unsere Eltern geworden. 

Ihr letzter Film war eigentlich ein Zwei-Personen-Stück, das ist nun eine große Ensemblekomödie. War das eine große Umstellung in der Inszenierung?

Ich hatte natürlich ganz großen Respekt. Die Vorstellung, nun wirklich zehn gute Schauspieler:innen am Set zu haben, die sich wohl auch langweilen, wenn sie nichts zu tun haben, hat mir Respekt eingeflößt. Aber ich habe mich gut darauf vorbereitet, und mein Ensemble war wirklich sehr liebevoll und geduldig, wirklich tolle Kollegen, die sich nicht zu ernst genommen haben. Ich hatte Respekt, aber ich hatte dieses Mal auch zwei Kameras, was auch wichtig ist. Außerdem geht die Anzahl der Rollen und Schauspieler ja immer vom Stoff aus. „Alles in bester Ordnung“ war eben ein Zweier-Stück, weil es auch um die Wohnung ging, die quasi der dritte Protagonist war, und hier geht es nun um Geld, Gerechtigkeit und Gemeinschaft. Auch hier ist das Haus, das ich immer Piratenhaus nenne, wieder ein weiterer Protagonist der Geschichte. Es war eine Herausforderung, aber es ist total gut gelaufen, es war gar kein Problem. 

Wie Sie bereits sagten, kommen alle Hauptdarsteller:innen aus Ostdeutschland. War Ihnen das beim Casting besonders wichtig?

Ja, das war mir sehr wichtig, denn das habe ich gebraucht. Ich habe als Berlinerin sowieso schon ein gewisses Nähegefühl, aber ich bin ein Westberliner, und mir war es ganz wichtig, dass sie mir auf die Hände klopfen oder auf die Füße steigen, wenn ich etwas grundsätzlich falsch gemacht hätte. Denn ich habe einen Film für die Menschen von damals gemacht, für die Menschen in dieser wilden, aufwirbelnden Zeit von 1990, in der so viel möglich war. Ich wollte, dass die Vermieter unser Hauptlocation, die Motivgeber des Wohnhauses, sich am Ende in dem Film wiedererkennen, wenn sie ins Kino gehen. Die haben mir auch sofort ihre Arbeitsbiografie erzählt und was damals bei denen los war. Gleichzeitig wollte ich einen Film machen, der unterhält, eine Komödie und kein Drama. 

Haben Sie dann beim Drehbuchschreiben schon die Schauspieler:innen für die Rollen im Hinterkopf gehabt?

Nein, ich muss beim Drehbuchschreiben vollkommen frei sein, sonst würde ich mich beschränken. Bei „Alles in bester Ordnung“ war es ein bisschen anders, da hatte ich Corinna Harfouch von Anfang an als Leitfigur mit drin und sie auch schon dazu angefragt. Aber wenn ich ansonsten zu Beginn schon so festgelegt wäre, dann könnte ich die Figuren nicht mehr ändern, auch wenn es gut wäre, sie zu ändern. Ich muss das andersherum machen, ich muss vollkommen frei schreiben, dann bin ich auch frei in der Figurengestaltung, dann habe ich keinen Zwang. Volker, die Rolle, die Ronald Zehrfeld spielt, hat sich beispielsweise einmal komplett verändert, das hätte ich nicht machen können, wenn ich ihn von Anfang an dafür vorgesehen gehabt hätte. Denn dann hätte es nicht mehr gepasst, und ich hätte dem Schauspieler absagen müssen. Das wäre ja schrecklich. Erst kommt das Buch in aller Freiheit, und dann muss ich irgendwie auf einen Knopf drücken und die Drehbuchautorin darf nach Hause gehen, und die Regisseurin fängt an, das Buch komplett in kleine Schnipsel zu zerschneiden. Dann wird alles anders, und dann kommen die Darsteller. 

Und die Drehorte? Ich könnte mir vorstellen, dass es gar nicht so einfach war, solch triste Orte in Ostdeutschland noch zu finden, oder?

Hauptsächlich haben wir in Gera gedreht. Das Komplexlager im Unterirdischen haben wir bei Jena gedreht in Rothenstein, wo sich das Komplexlager 22 befindet. Das Original-Komplexlager 12, wo sich die Geldeinlagerung befand, ist bei Halberstadt. Aber dort konnten wir nicht drehen, weil dort bereits alles herausgerissen wurde, das wäre sonst sehr teuer geworden, alles wieder einzubauen. Aber unsere Szenenbildner recherchierten, dass es mit dem Komplexlager 22 ein Schwesterlager gab, in dem noch alles da war. Das wurde 1990 abgeschlossen und für unsere Dreharbeiten nun wieder aufgeschlossen. Und es war noch alles da, inklusive des Aufenthaltsraums für die Wachhabenden! Die KfW-Bank hat mich übrigens gebeten, zu erwähnen, dass im Komplexlager 12 kein einziger Schein mehr existiert. Das stimmt, ich habe mich selbst davon überzeugt! Es liegt wirklich nichts mehr rum, es ist kein Geld mehr da, das ist mittlerweile alles verbrannt worden. Und ein Einsteigen ins Lager wäre heute auch gefährlich, weil der Komplex einsturzgefährdet ist. Macht es also bitte nicht!

Die „Heist-Movie“-Momente sind für einen deutschen Film überaus ungewöhnlich. Hatten Sie dafür Vorbilder aus US-Filmen?

Nein, ich habe ja meine ganze Kindheit, Jugend und mein frühes Erwachsensein damit verbracht, unzählige Filme zu sehen, so dass ich in mir ein ganzes Register von Filmen habe. Man erfindet für so etwas ja keine neuen Kameraeinstellungen, sondern man sucht nach guten Motiven vor Ort und schaut dann, was man damit machen kann. Ich habe mir dafür nicht noch einmal einen Film angesehen. Ich versuche, dem Motiv gerecht zu werden, und dabei eine Komödie und ein Heist Movie zu erzählen. Daran hatte auch die Musik eine große Beteiligung, und es gilt, eine ganze Menge an Entscheidungen zu treffen. Und ich persönlich mag es bunt und mit vielen Farben (lacht), die kreativen Entscheidungen für meinen Film fälle ich gerne bereits im Voraus, und nicht erst beim Drehen.

Es gibt ja bereits einige Filme, die vor, während und nach der Wiedervereinigung Deutschlands angesiedelt sind. Was glauben Sie, macht die filmische Faszination dafür aus?

Diese Zeit, das Jahr 1990, gab es nicht noch einmal in Deutschland. Um was Vergleichbares zu finden, muss man sicherlich bis ins Mittelalter zurückgehen. Es war eine Zeit voller Umbruch und Möglichkeiten, wo alles durcheinandergekommen ist. Das ist natürlich erzählerisch gesehen für einen Filmemacher eine tolle Zeit. Wir machen ja auch häufig Filme über die Nazizeit, weil wir da klar wissen, wer der Antagonist, wer der Böse und wer der Gute ist. Und hier weiß man einfach, dass alles durcheinander ist. Diese Zeit ist toll, weil jede Figur in ein Dilemma kommt und sich neu sortieren muss. Wem gehört was? Was bedeutet es, wenn alles allen gehört? Wem gehört die Million, die da plötzlich auf dem Tisch liegt? Viele haben mir gesagt, dass 1990 die beste Zeit ihres Lebens war. 1991 war das dann schon Geschichte, denn dann begann die Zeit der Entlassungen. Aber 1990 war eine sehr aufregende Zeit, und übrigens, das habe ich recherchiert, real gesehen auch ein sehr heißer Sommer. 

Haben Sie denn persönlich auch noch Erinnerungen an diese Zeit, die sich bei Ihnen eingebrannt haben?

Leider nicht, ich war damals 22 Jahre alt und in der Schauspielschule. Und Schauspielschüler nehmen sich immer sehr wichtig (lacht), weswegen Textlernen damals wichtiger war als die Tatsache, dass die Mauer gefallen ist. Das ist aber vielleicht auch der Grund, warum ich daran nun solch eine Lust hatte, mir diese Zeit und diese Möglichkeiten von damals noch einmal vor Augen zu führen.

Wie empfinden Sie nun den noch recht jungen Wechsel in Ihrer Karriere von der Autorin zur Autorenfilmerin oder Regisseurin?

Mir taugt das (lacht). Solange jetzt niemand kommt und sagt, „Dich lassen wir nicht mehr ans Set“, werde ich das weiter machen. Es gibt für mich nichts Schöneres, als am Set zu stehen. Als Regisseur:in bist du gut eingebunden und hast viel zu tun. Als Schauspielerin habe ich oft unter den langen Wartezeiten zwischendurch gelitten. So bin ich gut eingebunden, bin auch mit Geschichtenerzählen beschäftigt, aber eben hinter der Kamera. Ich dachte immer, Regieführen hieße, zu wissen, wo es langgeht. Aber das stimmt nicht. Regieführen heißt, gute Leute zu beschäftigen, und denen den Platz zu geben, damit sie aufblühen können. Seien es Kamera, Szenenbild, Kostüm oder Darsteller. Ich muss das Ganze nur ordnen, bin so etwas wie der Tellerdreher, und das taugt mir sehr. Ich mag das. Ich glaube, mit diesem zweiten Film habe ich nun gezeigt, dass „Alles in bester Ordnung“ nicht nur eine Eintagsfliege war, und jetzt hoffe ich, dass ich meinen dritten Film auch irgendwie machen darf.

Ist für Sie nach den Dreharbeiten der Film abgeschlossen, oder arbeiten Sie auch noch intensiv mit dem Editor am Schnitt des Films?

Ja, ich sitze die ganze Zeit beim Schnitt daneben (lacht). Aber ich habe schon eine sehr gute Zusammenarbeit mit meinem Editoren, Ramin Sabeti. Wir kauen den Film dann nochmal durch, aber das ist eben der Prozess. Und danach kommt noch ein vierter Schritt, in den ich ebenfalls noch involviert bin, das ist die Tonnachbearbeitung, also alles, was mit Musik und Geräuschen zu tun hat. Das geht ja ins Reptilienhirn! Man kann ein schlechtes Bild mit einem guten Ton kinotauglich machen, aber sobald man zu einem guten Bild schlechten Ton liefert, merkt der Zuschauer, dass irgendetwas falsch ist. Die Tonebene ist für das Kino-Rezipieren so wichtig, dass ich auch diesen Schritt beim Filmemachen unglaublich mag.

Interview: Frank Brenner

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