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Yves Ravey
Foto: Mathieu Zazzo

Roman zur Zeit

29. August 2023

„Taormina“ von Yves Ravey – Textwelten 09/23

Es sind nicht die Autobahnkilometer, die einem nach einer Urlaubsreise im Gedächtnis bleiben, sondern der Moment, in dem man vom Weg abgekommen ist. Ferien sind auch dazu da, die Freiheit zu spüren und einmal nicht das Erwartbare zu tun. Das Flugzeug ist gelandet, der Mietwagen übernommen, jetzt gilt es für das Ehepaar Melvil und Luisa nur noch ein paar Kilometer zurückzulegen, bis sie in ihrem Hotel in Taormina angekommen sind. Da lockt jedoch ein Straßenschild mit Sonnenschirm. Luisa bekommet sofort Lust, ein Bad im Meer zu nehmen. Melvil hält kurz an einem Imbiss, Luisa steigt an einem wilden Strand in die Brandung. Als die beiden auf einem Feldweg wieder zurück zur Autobahn wollen, rammt das Auto einen Widerstand, den beide in der Dunkelheit übersehen haben.

Statt auszusteigen, fährt man – den Schreck noch in den Gliedern – schnell weiter. Eine Vermeidungsreaktion, die das Ferienglück sabotieren wird. Yves Ravey hatte schon mit seinem Roman „Die Abfindung“ einen literarischen Film Noir geschrieben, in dem ein Tankstellenpächter in ein Geflecht von privaten und geschäftlichen Abhängigkeiten gerät. Hier stellen die beiden Urlauber den Psychothriller schon selbst her, indem sie den Tatsachen beständig aus dem Weg gehen. Am nächsten Tag wird in der Zeitung der Tod eines Kindes vermeldet, das offenbar in der betreffenden Gegend angefahren wurde. Man versucht, das Auto reparieren zu lassen, aber nun wird man auch in der Werkstatt misstrauisch.

Haben die beiden tatsächlich das Kind getötet? Niemand weiß es, aber die Zweifel nagen an Melvil und Luisa. An Sex oder gar Liebe ist zwischen den beiden nicht mehr zu denken. Das unablässige Gedankenkarussell zersetzt die Ferienstimmung. Ravey schreibt so etwas wie den Roman zur Zeit. Das ausweichende Reagieren auf Symptome beschert wachsende Probleme. Geschrieben ist diese Geschichte wie ein knackiges B-Movie, in dem nicht etwa die Logik der Story besticht, sondern man in den atmosphärischen Strudel der Ereignisse gezogen wird. Es ist irre spannend zu sehen, wie zwei saturierte Urlauber auf bestem Wege dabei sind, zu Flüchtlingen zu werden.

Yves Ravey: Taormina. | a. d. Franz. v. Holger Fock und Susanne Müller | Verlagsbuchhandlung Liebeskind | 112 Seiten | 20 Euro

Thomas Linden

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