 
				Etwa drei Tage kann ein Mensch ohne Flüssigkeit überleben. Diese existenzielle Dringlichkeit macht den Durst zu einem Sinnbild des Begehrens. In Thomas Dahls neuem Band mit Gedichten und Kurzprosa ist „Durst“ die zentrale und titelgebende Metapher. Deren Ambivalenz zwischen destruktiver Gier und produktivem Trieb spiegelt sich schon in den Versen wider, die der Autor seinen Texten vorangestellt hat: „Der Durst speist Welten / reißt Gräben in seltene Erden / stößt neuen Quell ins zögernde Licht / Trinkt ihr seltsamen Wesen / Trinkt was euch stützt und trinkt / was euch wieder bricht.“
Oft unterstreicht die grafische Gestaltung der Gedichte die inhaltliche Aussage, wie in dem Kurzgedicht „Eigentlich“, wo die längste Zeile „wieder rückwärtsrollend“ gleichzeitig den Wendepunkt markiert. Die Geworfenheit ins Sein und die Sehnsucht nach einem Urzustand, in dem noch alles möglich schien, sind hier aufs äußerste verdichtet. Sichtbare Streichungen lassen die Leser am Entstehungsprozess der Texte teilhaben. Manchmal widersprechen sich Optik und Aussage bewusst, wie in der Schlusszeile von „Oderaber“: „Das Nichts so groß, die Zeit, bleibt Klein.“
Manchmal sind es nur wenige Zeilen, in denen (Sehn-)Sucht, Einsamkeit, Sinnsuche oder sexuelles Verlangen Platz finden. In „Oderaber“ öffnet der Alkohol den Raum für den Möglichkeitssinn des Schreibenden. Hier unternimmt Dahl mit dem Konjunktiv II utopische oder dystopische Kurztrips in die Zukunft. In dem Gedicht „Eins“ lotet er das dystopische Potenzial der Möglichkeitsform aus, die als „Irrealis“ gleichzeitig die sprachliche Gestalt verpasster Chancen ist. Ob am Ende die Hoffnung steht oder die Hoffnung endet, bleibt in der Schwebe: „Etwas endet / Immer / Ein Wort, ein Tag, ein Schluck, ein löchriges / Heim / Ein vager Schimmer.“
Thomas Dahl: Der Durst | BoD – Books on Demand | 116 S. | 19,99 Euro
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