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Thorsten Merten (links) mit Heiko Pinkowski und Peter Trabner in „Alki Alki“.

„Die Schauspielerei ist mein Plan B“

29. Oktober 2015

Thorsten Merten über „Alki Alki“, improvisiertes Drehen und seinen schwierigen Beruf – Roter Teppich 11/15

Thorsten Merten hat sich mit rund einhundert Rollen in den letzten 30 Jahren zu einem der fleißigsten Charakterdarsteller der deutschen Film- und Fernsehszene gemausert. Man kennt ihn aus „Stauffenberg“, „Elementarteilchen“, „Novemberkind“ oder als personifizierter Tumor in „Halt auf freier Strecke“. Mittlerweile hat er auch regelmäßige Rollen in den TV-Reihen „Spreewaldkrimi“ und dem „Tatort“ aus Weimar an der Seite von Christian Ulmen und Nora Tschirner. Ab 12. November ist er in Axel Ranischs neuer Improvisationskomödie „Alki Alki“ neben dessen Stammschauspielern Heiko Pinkowki und Peter Trabner wieder im Kino zu sehen.

engels: Herr Merten, Sie hatten im Vorfeld bereits mit den Schauspielern Axel Ranisch und Peter Trabner vor der Kamera gestanden. War das auch die Verbindung, durch die Sie nun an die Rolle in „Alki Alki“ gekommen sind?

Thorsten Merten: Ich habe zweimal mit Axel als Schauspieler gedreht, zum einen in „Ruhm“, und dann noch in der Hallenser Krimireihe „Zorn“, in der er Schröder spielt. Im ersten Film der Reihe habe ich einen Bösewicht gespielt, der ihm ein Messer in den Bauch rammt, insofern kennen wir uns als Schauspieler (lacht). Und dann hat er noch einen Festivaltrailer fürs Kinofest Lünen gedreht, und zwar in meinem Wohnzimmer! Und auch mit seiner weiteren Filmfamilie, Trabner, Pinkowski und Christina Große, hatte ich schon gearbeitet. Insofern lag es nahe, dass wir irgendwann etwas zusammen machen. Hinzu kommt, dass ein Schauspieler wie ich, der schon über 50 ist, den Kontakt zu den jungen Regisseuren sucht, damit ich nicht so bräsig im Kopf werde. Deswegen habe ich auch eine Sehnsucht, unter den jungen, talentierten Regisseuren zu spielen.

Der Film enthält Autobiografisches von Heiko Pinkowski, der mit Ranisch und Trabner zusammen auch das Drehbuch geschrieben hat. War es schwierig, den Vorstellungen von drei Autoren gerecht zu werden, die allesamt beim Dreh vor Ort waren?

Nein, die haben ja nur die Geschichte zusammen entworfen und ein Treatment erstellt, kein fertiges Drehbuch. Es gab eine Abfolge von Szenenvorschlägen, zu denen dann improvisiert wurde. Man selbst kann an seiner Figur natürlich rumschrauben. Hier wollte ich wirklich mal einen Frustrierten spielen, in dessen Leben so ziemlich alles schief gelaufen ist. Diese Freiheiten hatte ich. Insofern war ich schon in die Vorbereitungen eingebunden, und beim Dreh konnte ich dann ohnehin machen, was ich wollte. Ohne Drehbuch läuft dann einfach die Kamera, und der Regisseur muss am Ende halbwegs zufrieden sein mit dem, was man da produziert. Das hat viel mit Vertrauen zu tun, und da konnte ich mich gut einbringen.

Ist Axel Ranischs Inszenierungsstil denn mit dem von Andreas Dresen vergleichbar, mit dem Sie auch schon oft zusammengearbeitet haben? Beide inszenieren meiner Meinung nach sehr lebensechte und authentische Filme...

Als ich mit Andreas Dresen „Halbe Treppe“ drehte, war das mein erster Improvisationsfilm. Und damals konnte ich noch nicht so richtig improvisieren. Das hat mich im Nachhinein, obwohl der Film sehr gut geworden ist, so geärgert, dass ich künftig versucht habe, auch am Theater so viele Improvisationen wie möglich loszulassen. Inzwischen habe ich an Improvisationen einen Riesenspaß! Das Tolle an dieser Arbeitsweise ist, dass man Momente einfängt. Bei einem festen Drehbuch, bei dem genau festgelegt ist, wo die Kamera steht und auf welche Markierung man zu treten hat, da malt man im Prinzip gestaltete Bilder aus. Bei Improvisationen muss die Kamera einem folgen, man hat alle Freiheiten der Welt und dadurch kann man viel impulsiver agieren. Die Arbeitsweisen von Ranisch und Dresen sind insofern tatsächlich ähnlich.

Eine lustige Parallele ist, dass Sie bei Dresen in „Halt auf freier Strecke“ den Gehirntumor verkörpert haben, und in „Alki Alki“ werden nun die Süchte personifiziert. Ist das nur ein Zufall oder hat Sie dieser Punkt zusätzlich gereizt, weil Sie selbst auch einen skurrilen Humor haben?

Ich fand die Idee toll. Dass man die Sucht visualisiert und personifiziert, wird hier ja den ganzen Film über durchgezogen. Bei „Halt auf freier Strecke“ hatte das eine andere Funktion, an diese Parallele hatte ich bislang gar nicht gedacht, aber die ist tatsächlich da.

Zeilen von Thomas wie „Ich bin in Eisenach“ aufgewachsen scheinen in der Improvisation Ihrem eigenen Leben abgeschaut...

Um im Material halbwegs stabil zu sein, muss man sich Namen und Orte einprägen, die mit seiner Figur in Verbindung stehen sollen. Wenn ich in Improvisationen Geschichten über andere Leute erzähle, die nicht auftauchen, benutze ich oft Namen von alten Klassenkameraden. Da ich gerade in der Improvisation nicht völlig hochdeutsch spreche, versuche ich über meine Biografie zu erklären, warum ich so spreche, wie ich spreche. Da liegt natürlich nahe, dass ich auf Dinge zurückgreife, die tatsächlich mit meinem Leben zu tun haben. Außerdem habe ich manchmal diebischen Spaß, wenn ich mir Leute vorstelle, die ich kenne, die beim Anschauen meiner Filme dann Parallelen zu realen Ereignissen oder Personen entdecken. Das heißt natürlich nicht, dass ich mich in diesen Fällen selbst spiele.

Ihr Thomas ist ein Managertyp, der sich und seine Arbeit gut verkaufen muss, um einen Finanzier an Land zu ziehen. Kennen Sie das selbst auch, beispielsweise von Casting-Terminen, dass Sie sich und Ihre Arbeit im besten Licht darstellen müssen?

Ich glaube, es gibt kaum einen schwierigeren Beruf als Schauspieler. Ganz viele müssen freiberuflich arbeiten, und noch mehr können ihrem eigentlichen Beruf gar nicht nachgehen. Der Schauspielerberuf geht mit einer extrem hohen Arbeitslosigkeit und einem sehr hohen Druck einher. Ich habe irgendwie Schwein gehabt, dass ich Geld bekomme und auch immer wieder schöne Aufträge erhalte. Das hat überhaupt nichts mit Talent zu tun. Wenn ich meine Schauspielklasse von der Ernst-Busch-Schule anschaue, dann gibt es darunter einige viel talentiertere Leute, die nicht so viel zu tun haben wie ich. Das ist eine große Ungerechtigkeit. Der Druck, sich verkaufen zu müssen, ist sehr hoch. Ich versuche, auch in weniger reizvollen Produktionen keine verbrannte Erde zu hinterlassen, weil man sich immer zweimal begegnet. Ich bin aber kein Casting-Typ. Ich habe höchstens ein oder zwei Rollen über Castings erhalten. Meine Agentur weiß, dass ich nicht zu Castings gehe, weil ich nicht in ein Büro gehen und mir unter einem Sofa dort einen Verkaufsladen vorstellen kann. Dabei komme ich mir dämlich vor.

Hat es für Sie jemals einen Plan B gegeben, wenn es mit der Schauspielerei nicht so geklappt hätte, wie Sie es sich vorgestellt hatten?

Die Schauspielerei ist mein Plan B (lacht). Ich wollte eigentlich Journalist werden. Ich habe mir mein Journalistikstudium versaut, weil ich dämlicherweise auf alle draufgehauen haben, die für die Ausbildung von Journalisten zuständig waren. Das war noch zu DDR-Zeiten, als ich mich in einem Kabarettprogramm über den DDR-Journalismus lustig gemacht habe, nicht wissend, dass alle, die für die Journalistenausbildung zuständig waren und sämtliche Redakteure, bei dem Programm im Zuschauerraum saßen. Das war reichlich dämlich von mir. Aber über meine Affinität zum Kabarett bin ich dann irgendwann an der Schauspielschule gelandet.

In den letzten 20 Jahren haben Sie rund einhundert Rollen in Film und Fernsehen übernommen. Seit Kurzem sind Sie nun auch regelmäßig beim MDR-„Tatort“ mit dabei. Hat das Ihrer Karriere einen merklichen Schub verliehen?

Nein, aber es ist beruhigend, dass ich zu Beginn des Jahres nun nicht mehr schauen muss, wie ich über Aufträge meine laufenden Kosten bezahlen kann. Früher waren da schon Existenzängste, denn die Mieten im Berliner Stadtteil Prenzlauer Berg, wo ich wohne, werden nicht niedriger, und ich habe drei Kinder. Da muss man schon ranschaffen und als Freiberufler hoffen, dass sich das Jahr mit Aufträgen füllt. Mit meiner ersten fixen Rolle im „Spreewaldkrimi“ fing es an, dass ich erste fixe Termine und damit auch ein fixes Einkommen erhalten habe. Und dazu noch gute Drehbücher. Nun ist noch der Weimarer „Tatort“ dazugekommen, dadurch habe ich nun schon zwei bis drei fixe Rollen im Jahr. Und die Drehbücher sind gut, da muss ich mich nicht verbiegen. Das ist dann umso besser, wenn Kunst und Geld verdienen so gut miteinander zu vereinen sind. Insofern bin ich mittlerweile entspannter, suche aber immer wieder nach Schweinereien, die ich nebenbei machen kann, dazu zählen die Arbeiten von jungen Underground-Regisseuren wie Axel Ranisch oder Aron Lehmann. Und mit Axel und seiner Filmfamilie stehen auch schon wieder zwei neue Projekte in der Pipeline.

Interview: Frank Brenner

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