Seit rund 40 Jahren steht die 1959 in Konstanz geborene Barbara Auer vor Film- und Fernsehkameras. In ihrer Karriere hat sie in Klassikern wie „Nikolaikirche“, „Solo für Klarinette“, den ersten Folgen der „Donna Leon“ - Filmreihe, „Die Bücherdiebin“ oder der Fernsehreihe „Nachtschicht“ mitgewirkt. Ausgezeichnet wurde sie dafür u.a. mit dem Filmband in Gold, dem Grimme-Preis, dem Deutschen Fernsehpreis und der Goldenen Kamera. Zum wiederholten Mal hat sie nun in einem Film von Christian Petzold mitgespielt. „Miroirs No. 3“ über die Freundschaft zweier unterschiedlicher Frauen startet am 18. September in den Kinos.
engels: Frau Auer, nach vielen gemeinsamen Arbeiten hatten Sie seit 2018 nicht mehr mit Christian Petzold zusammengearbeitet. Ist man trotzdem direkt wieder im Gleichklang, wenn man sich am Set begegnet?
Barbara Auer: Ich habe bei „Miroirs No. 3“ das siebte Mal mit Christian Petzold gearbeitet, das erste Mal vor 25 Jahren bei „Die innere Sicherheit“. Damals hatte er schon diese eigene Arbeitsweise, die er auch heute noch hat. Insofern ist man sehr schnell wieder zu Hause, und es fühlt sich vertraut an. Immer gibt es diese intensiven Vorbereitungstage, an denen sich alle treffen, egal wie groß die Rolle ist. Leseproben gibt es auch bei anderen Filmen, aber mit Christian schaut man sich die Drehorte gemeinsam an, er zeigt Filme und erzählt sehr viel. Und er ist ein großartiger Erzähler. So werden alle auf das Projekt eingestimmt und jeder hat das Gefühl, Teil dieser Geschichte zu sein.
Das klingt nach einer prinzipiell anderen Arbeitsweise als der von anderen Regisseur:innen. Können Sie einschätzen, wie genau die Magie der Filme Petzolds entsteht?
Durch dieses Zusammensein entsteht eine Komplizenschaft. Das soll jetzt nicht esoterisch klingen, aber wenn Sie schon von Magie sprechen – es entsteht dabei eine gewisse Energie. Man ist auf einem gemeinsamen Energielevel, die Schauspielerarbeit hat ja immer etwas mit Energie zu tun. Auch vor jedem Drehtag arbeitet Christian Petzold am Morgen noch einmal nur mit den Schauspielern, das Team kommt erst später dazu. So hat man immer das Gefühl, ganz viel Raum und Zeit zu haben, obwohl das beim Film bekanntermaßen ja nicht so ist. Das ist das Besondere daran. Diese Arbeitsweise ermöglicht allen, auch dem Team, eine entspannte, aber sehr konzentrierte Arbeit und eine herrliche gemeinsame Zeit.
Petzold ist bekannt dafür, immer wieder mit den gleichen Darsteller:innen zusammenzuarbeiten. Kann man dann auch von einer familiären Atmosphäre sprechen?
Ja, schon. Das ist auch vergleichbar mit einem Ensemble am Theater, während man diese Kontinuität beim Film ja eher weniger hat. Deswegen kennen sich auch viele aus dem Team bereits. Hans Fromm, sein Kameramann, ist immer dabei. Ebenso der Szenenbildner K.D. Gruber, die Editorin Bettina Böhler und die Kostümbildnerin Katharina Ost. Ja, das ist auf eine Art familiär.
Lesen Sie überhaupt noch ein Drehbuch von ihm, bevor Sie zusagen? Oder sind Sie auf jeden Fall dabei, wenn es zeitlich passt?
Doch, ich lese schon noch. Christian Petzold erzählt oft bereits vorher von seinem neuen Projekt und das entspricht dann sehr häufig tatsächlich schon dem finalen Drehbuch. Ja, wenn Christian mich fragt, freue ich mich immer sehr. Wobei ich nicht immer nur große Rollen gespielt habe, die Figur in „Yella“ war klein, das waren nur zwei oder drei Sätze. Aber das ist egal, wenn man mit jemandem gut arbeitet. Durch diese Ensemblearbeit hat man trotzdem das Gefühl, wichtig zu sein. So wie die großartige Rolle der Architektin in „Transit“. Das war keine große Rolle, aber trotzdem war sie besonders und eine prägnante Figur. Wenn ich mit jemandem also so arbeiten kann, es vertraut, aber dennoch immer wieder spannend ist, dann ist es mir egal, wie groß die Rolle ist. Ich freue mich, wenn ich dabei sein kann.
In „Miroirs No. 3“ geht es um Seelenverwandte verschiedener Generationen. Wie war die Zusammenarbeit mit Paula Beer, die mittlerweile eine feste Größe im Petzold-Werk ist?
Paula hat in allen Petzold-Filmen seit „Transit“ gespielt. Damals hatten wir kaum Berührungspunkte, aber unsere Arbeit jetzt war dennoch vertraut. Es ist wunderbar, mit ihr zu arbeiten. Sie ist eine sehr weise Schauspielerin, es braucht nicht viele Gespräche, um sich mit ihr zu verstehen und zu verständigen.
Das Mystisch-Märchenhafte, das man von Petzold kennt, kommt hier am Anfang bei den ersten Begegnungen zwischen Laura und Betty eher unterschwellig daher. War das bereits so im Drehbuch angelegt?
Christian Petzold arbeitet nicht psychologisch, er gibt einem nicht vor, was die Figur zu empfinden hat. Er arbeitet mit Bildern, mit Märchen, mit Zitaten aus Literatur und Film. Im Vorfeld hier hat er beispielsweise das Märchen vom Totenhemdchen erzählt, vom Teller, der von einer trauernden Mutter immer auf den Tisch gestellt wird. Das sind starke bildliche Motive, die einen beim Spielen begleiten, wenn auch eher unbewusst, weil man mit der Psychologie und dem Innenleben der Figur beschäftigt ist. Bis diese dann eben anfängt, sich zu verselbständigen, das ist immer der Punkt, an dem es spannend wird.
Petzold erzählt auch nicht alles detailliert aus. Müssen Sie sich als Schauspielerin dann eine genauere Biografie für die Figur ausdenken?
Eine Biografie schafft man sich immer, auch bei kleineren Rollen. Da erst recht, weil man nur wenige Szenen hat, um die Figur zu etablieren. Hier hat uns Christian erzählt, dass Betty zugezogen ist, sie ist Lehrerin. Sie hat Richard kennengelernt, der ist von hier, das ist sein Elternhaus, er hat diese Werkstatt. Und diese beiden waren mit ihren Kindern eine glückliche Familie, die nun zerbrochen ist. Aber dieses Familienglück, das kann man noch spüren, besonders in diesem Haus, in dem der Film hauptsächlich spielt. In Petzold-Filmen spielen auch die Orte immer eine sehr große Rolle. Dieses Haus gibt es zwar, aber nicht diese Terrasse, auch nicht das Klavierzimmer, das war dazu gebaut, und das Haus war so eingerichtet, dass man wirklich das Gefühl hatte, darin zu leben. Letztendlich aber hatte ich das Drehbuch von „Miroirs No. 3“ bereits ein Jahr vor Drehbeginn, ich konnte mich also schon sehr früh mit Betty beschäftigen. So hat sie mich schon eine Weile begleitet und manches, was im Film nicht offen ausgesprochen wird, war dadurch beim Arbeiten klar und selbstverständlich.
Sie arbeiten seit Jahren für Film und Fernsehen. Haben Sie für sich die beiden Medien jemals gewichtet oder entscheiden Sie bei der Auswahl nur nach Stoffen, egal, wie und wo sie umgesetzt werden?
Es gibt natürlich mehr Fernseh- als Kinoangebote. Wir träumen alle vom Kino, weil wir an die Magie des Kinos noch glauben. Filme im Kino zu schauen ist anders, und man kann da die Geschichten auch anders erzählen als im Fernsehen. Gleichzeitig gibt es wiederum Stoffe, die im Fernsehen besser aufgehoben sind. Bei mir kam alle paar Jahre mal wieder ein Angebot für einen Kinofilm. Die ersten Jahre im Beruf war ich fest am Theater, erst mit Ende 20 habe ich dann angefangen, hauptsächlich zu drehen. Mittlerweile arbeite ich seit 37 Jahren für Film und Fernsehen und bin dankbar, dass ich immer zu tun hatte. Das ist ja nicht selbstverständlich. Ich hatte sowohl im Fernsehen als auch im Kino schöne Rollen, wobei mir vor allem wichtig ist, mit wem ich arbeite. Lieber arbeite ich mit einem Regisseur, den ich schätze und spiele eine kleinere Rolle, als eine Hauptrolle bei jemandem zu spielen, der mich nicht wirklich interessiert. Ich hatte das Glück, immer wieder interessanten Leuten zu begegnen und das auch in den Jahren, in denen es für Frauen schwierig wird, noch gute Rollen zu bekommen. Es ist leider so, für uns Frauen jenseits der 40 – und dann erst recht jenseits der 50 – wird es schwierig, aber ich hatte in der Dekade meiner 50er Jahre die spannendsten und brüchigsten Figuren. Jetzt in meinen 60ern gibt es weniger Rollen, es gibt auch keine richtigen Rollenvorbilder für dieses Alter und für das Lebensgefühl. Dass das Leben nämlich nicht plötzlich aufhört, dass es weiter Herausforderungen gibt und es einen auch noch ziemlich umtreiben kann. Da fehlt es an Geschichten. Aber das war bei „Miroirs No. 3“ nicht das Thema, hier geht es um Familie. Und da ist es egal, wie alt genau wer dabei ist.
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