Paolo Bacilieri erzählt mit dem schwergewichtigen „Fun“ gleich mehrere Geschichten: Zum einen ist da die Geschichte des Kreuzworträtsels, die sich zweitens langsam mit der Geschichte des Comics verwebt. Und drittens gibt es das Aufeinandertreffen eines Literaten und eines Zeichners, das erst die beiden ersten Erzählstränge ermöglicht. Wenn dann auch noch eine geheimnisvolle Agentin und schließlich das weitverzweigte Privatleben des Comiczeichners in den fast 300-seitigen Band spült, droht man restlos den Überblick zu verlieren. Das gilt auch ein wenig für die überbordenden, akribischen Zeichnungen, die sich zum Teil an Meister wie Robert Crumb oder Will Eisner anlehnen. Faszinierend, irritierend und monumental (avant-verlag). Kristina Gehrmann hat sich Upton Sinclairs sozialkritischem Roman „Der Dschungel“ aus dem frühen 20. Jahrhundert angenommen: Über zwei Jahre begleitet sie eine litauische Familie, die 1899 über New York nach Chicago reist, wo sie hofft, in den Schlachthöfen eine Anstellung für ein gutes Leben zu finden. Doch das frühkapitalistische System zermalmt das Glück der Großfamilie, bis der Protagonist Jurgis – als er kaum noch tiefer fallen kann – vom Sozialismus hört, und neue Hoffnung schöpft. Die Graphic Novel rekapituliert Sinclairs Agitprop 1:1 und übernimmt somit auch dessen Pathos. Insofern fügt die Adaption dem Original nichts wesentlich Neues hinzu, schafft es aber auf 380 Seiten beeindruckend, die drückende Atmosphäre von Ungerechtigkeit und Armut zu vermitteln (Carlsen).
„Chiisakobee“ von Minetaro Mochizuki entfaltet eine ganz besondere Stimmung zwischen Gleichmut, Absurdität, Drama und Komödie: Nach dem Roman von Shugoro Yamamoto erzählt der Manga von einem Schreiner, dessen Eltern bei einem Großbrand umgekommen sind. Der eigenbrötlerische, philosophisch angehauchte Mann mit Mähne und Vollbart muss nun das Geschäft übernehmen. Außerdem zieht bald die junge Ritsu als Haushaltshilfe ein, die wiederum eine Handvoll verhaltensauffällige Kinder aus einem Waisenheim mitbringt. Wie sich der bunte Haufen nun zusammenrauft und langsam lernt, miteinander klarzukommen, ist wunderbar leichtfüßig erzählt. Die ersten beiden Bände sind bei Carlsen erschienen. Mit drei Bänden eröffnet Carlsen auch eine neue Reihe mit Gruselcomics: Bekannte Zeichner widmen sich Schauergeschichten. Den Anfang machen Nicolas Mahler, Isabel Kreitz und Lukas Jüliger: Nicolas Mahler zerlegt in seiner bekannten Minimal-Manier mithilfe von Auslassung und Wiederholung die frühe Vampir-Kurzgeschichte „Der fremde!“ von Elfriede Jelinek. Isabel Kreitz adaptiert Sarah Khans zeitgenössische Zombi-Kurzgeschichte „Den Nachfolgern im Nachtleben“ in plastischen Zeichnungen. Der noch jüngere Lukas Jüliger hat „Berenice“ von Edgar Allan Poe in die weirde japanische Internet-Sex-Welt verlegt und entfaltet ohne Sprechblasen nur mit Off-Text eine atemraubend-beklemmende, poetisch-erotische Stimmung.
Nach vielen beeindruckenden Veröffentlichungen erscheint mit „Der Tag der Amsel“ eine Kurzgeschichtensammlung von Manuele Fior, die die große zeichnerische Palette des Künstlers präsentiert: Schwarzweiß, Aquarell, großflächig farbig oder gekritzelt widmen sich die kurzen und sehr kurzen Geschichten in freien und Auftragsarbeiten unterschiedlichsten Themen und Gefühlslagen, deren Kontext in dieser Sammlung aber leider nicht immer verständlich ist: Einigen Beiträgen sind Informationen beigegeben, andere wirken in dieser Form hermetisch und rätselhaft. Trotzdem eine spannende Werkschau (avant-verlag).
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