Keine Heimat ohne Sehnsucht. Oft ist es erst die Distanz zur eigenen Herkunft, welche die Heimat zum klaren Begriff und Wunschort werden lässt. „Das eigentliche Heimatgefühl ist das Heimweh“, schrieb der Schriftsteller Bernhard Schlink einmal. Heimweh, eines dieser wunderbaren deutschen Wörter, gleichermaßen von Scharfsinnigkeit wie Verklärung geprägt, funktioniert demnach nur, weil dem scheinbar Banalen – zuhause sein – der Gegenpol des Exils entgegengesetzt wird. Heimat, das ist alles andere als eine Selbstverständlichkeit.
„Utopie Heimat“, das Motto der Wuppertaler Literatur Biennale, die in diesem Jahr zum dritten Mal stattfindet, könnte im Zeitalter globaler Flucht und der daraus resultierenden Fragen also kaum aktueller sein. Und so präsentiert die Biennale an zwölf Tagen in einem bemerkenswert hochwertigen und vielseitigen Programm sehr subjektive literarische Auseinandersetzungen mit der eigenen, existentiellen Suche nach Identität.
Fehlen darf die Stimme der Flüchtlinge dabei natürlich nicht. In einer Schreibwerkstatt haben einige aus Syrien nach Wuppertal geflüchtete Menschen ihre Geschichten erzählt. Die Ergebnisse werden am 29. Mai (17 Uhr) im Theater am Engelsgarten präsentiert. Ebenfalls sein Exil in Wuppertal gefunden, hat der kurdisch-syrische AutorHelîm Yûsiv, der über seine alte Heimat sagt: „Ein Land, das vom Wagen der Geschichte gefallen und dann von der Geografie in beide Ohren gebissen worden ist.“ Yûsivs Lesung unter dem Motto „Zuflucht ist ein Menschenrecht!“ wird gemeinsam mit dem Medienprojekt Wuppertal präsentiert (Do 26.5. 11 Uhr, Opernfoyer).
Kaum weniger aktuell ist das Thema der beiden ukrainischen Autoren, die in diesem Jahr in Wuppertal zu Gast sind. Während Juri Andruchowytschs „Lexikon der intimen Städte“ die politisch-geistige Vermessung seines in Deutschland kaum bekannten Heimatlandes in Angriff nimmt (Fr 27.5. 18 Uhr, Caritas-Zentrum), geht es in Serhij Zhadans Buch „Mesopotamien“ um persönliche Geschichten und Schicksale in der vom Krieg zerrissenen Ostukraine (Sa 28.5. 19 Uhr,Sommerloch). Dazu spielt die legendäre Band Hunde des Weltalls.
Doch die Ambivalenz von Heimat wird auch von heimischen Autoren widergespiegelt. Dafür stehen unter anderem die multimediale Erinnerung an den Elberfelder Schriftsteller und Pazifisten Armin T. Wegner (Vernissage: Fr 3.6. 19 Uhr, Zentralbibliothek), Alltagserzählungen wie „Taxi Deutschland“ des Wuppertalers Jochen Rausch (Fr 3.6. 19.30 Uhr, Klub) oder die Heimatgedanken des Südtiroler Wahlrheinländers Konrad Beikircher (Do 26.5. 19.30 Uhr, Barmer Bahnhof) und des Eifelers Norbert Scheuer (Do 2.6. 19 Uhr, TalTonTheater). Der renommierte deutsch-iranische Autor Navid Kermani (Sa 4.6. 19.30 Uhr, Unterbarmer Hauptkirche) schließt die Biennale dann mit einem spannenden Blick auf das Christentum ab.
Was ist Heimat? Das ist keine Frage, die an Generationengrenzen haltmacht. Ganz besonders sollte man sich deshalb die Namen der jungen Preisträger der Biennale (Stefan Ferdinand Etgeton, Helene Bukowski undYannic Han Biao Federer) merken, die am Sonntag, den 29. Mai (19.30 Uhr) im Café Ada ausgezeichnet werden.
Wuppertaler Literatur Biennale 2016 | 24.5.-4.6. | www.wuppertal.de
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