Das Klagen ist der Buchbranche zur zweiten Natur geworden. Ewiges Jammern birgt jedoch die Gefahr in sich, dass man gar nicht mehr hinhört, wenn es wirklich einmal ernst wird. Mehr noch als die Zahlen – 6,4 Millionen Käufer sind dem Buchhandel zwischen 2014 und 2017 verloren gegangen – scheint das Verhalten der Kunden alarmierend. Denn von den Betroffenen wurde auch auf den digitalen Plattformen kein Buch mehr geordert. Wir erinnern uns, dass vor 10 Jahren das E-Book als Unterpfand für die Zukunft des Lesens gehyped wurde. Inzwischen dümpelt es nur noch bei etwa fünf Prozent dahin. Lange hat man sich eingeredet, es sei egal, auf welchem Trägermedium man einen Text liest und im Übrigen sei das E-Book ja ziemlich praktisch. Offenbar ist es den Menschen aber nicht egal. Und wer schaut nach einem vor dem Bildschirm verbrachten Tag dann abends gerne noch einmal auf ein Display?
Dass es sich bei dem Verschwinden der Leser nicht um eine Laune handelt, die sich mit den Verkaufszahlen eines neuen Bestsellers kurieren ließe, beweist die Tatsache, dass sich der Rückgang in allen Sparten vollzieht, ganz gleich ob es sich um Belletristik, Sachbuch oder Kinderbuch handelt. Der Einfluss der digitalen Medien wird spürbar, auch wenn er sich nicht alleine in offensichtlichen Bereichen abspielt. So macht sich etwa Axel Stemmer, der den Anderen Buchladen in Köln-Sülz unweit der Universität führt, keine Illusionen. Den Rückgang im Bereich der Soziologie und Philosophie erklärt er sich mit den Downloads der Seminartexte aus dem Netz. „Niemand liest deshalb heute noch das betreffende Buch in kompletter Form,“ sagt er. Auch im Bereich des politischen Sachbuchs haben sich die Verhältnisse verändert. Axel Stemmer beobachtet, „dass aktuelle Buchreihen verschwinden, weil wir uns über ein politisches Ereignis schon zuvor mit Informationen aus dem Netz zur Genüge versorgt haben“.
Der Andere Buchladen in Köln-Sülz ist stabil positioniert, ebenso wie die Buchhandlung Klaus Bittner in der Innenstadt. Hier pflegt man seine Kundschaft, die auch ohne Ohrensessel und Wasserkaraffe in diese literarischen Oasen findet. Möglicherweise ist die Krise tiefgreifend, weil sie sich aus einem veränderten Wahrnehmungsverhalten speist. Statistisch gesehen müssen wir spätestens alle 18 Minuten auf das Handy starren. Die eigene Unruhe spiegelt sich in der Erwartung der Umwelt, dass wir immer erreichbar sein sollten. Unser Gehirn stellt sich auf die Unterbrechung ein, jene Bereiche, die schnelle Reaktionen verlangen, sind dicht vernetzt, während in jenen Bereichen, in denen Konzentration und Lesebereitschaft zuhause sind, Neuronen abgezogen werden. So ist es nur natürlich, dass es uns immer schwerer fällt, dauerhafte Aufmerksamkeit für einen Text aufzubringen. Lesen wird mühevoll. Dass sich die Struktur der digitalen Kommunikation in unser Denken einschreibt, ist keine Überraschung. Eine Tatsache, der mit flotten Markering-Ideen allerdings nicht beizukommen ist. Für den Buchhandel wird es ernst, denn diese Krise wird sich auswachsen.
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