Jonathan
Deutschland 2016, Laufzeit: 99 Min., FSK 12
Regie: Piotr J. Lewandowski
Darsteller: Jannis Niewöhner, André Hennicke, Julia Koschitz
>> www.jonathan-derfilm.de/
Mischung aus Coming-of-Age und Coming-out mit Hang zum Melodram
Das Leben wartet nicht
„Jonathan“ von Piotr J. Lewandowski
Es ist Sommer in diesem Debütfilm des deutsch-polnischen Filmemachers Piotr J. Lewandowski. Ein Sommer, wie man ihn aus Astrid Lindgrens „Wir Kinder aus Bullerbü“ kennt. Mit goldenen Feldern und eiskalten Seen, mit staubigen Ställen und feuchtem Waldboden. In dieser Idylle bewirtschaftet der 23-jährige Jonathan (Deutschlands neuer Mädchenschwarm Jannis Niewöhner) zusammen mit seiner Tante einen alten Hof. Außerdem pflegt er seinen an Krebs erkrankten Vater (André M. Hennicke). Mit anderen Worten: Während seine Freunde ihr Studium in Berlin planen, hängt Jonathan auf dem Land fest. Doch das Verhältnis zwischen Vater und Sohn ist kompliziert: Der Vater verweigert seine Medizin. Er ist rücksichtslos und ausfallend, und sehnt sich nach einem würdevollen Tod. Jonathan allerdings ist nicht bereit, seinen Vater gehen zu lassen. Denn da ist noch diese Frage nach seiner verstorbenen Mutter. Eine Frage, deren Antwort der Vater seit Jahren stur verweigert. Dann tauchen nacheinander die Krankenpflegerin Anka (Julia Koschitz als betont lebenslustige Großstädterin) und ein alter Jugendfreund des Vaters, Ron, auf dem Hof auf. Abgelenkt durch sein eigenes Liebesabenteuer entdeckt Jonathan die Wahrheit spät (und vermutlich nach den meisten Kinozuschauern): Der Vater ist homosexuell und Ron seine heimliche Liebe.
Aus dem Coming-of-Age-Märchen „Jonathan“ wird damit auf halber Strecke eine Coming-out-Story, die allerdings unter einem emotional eng geknüpften Netz aus Schuld und Sühne zu ersticken droht. Jonathan reagiert übertrieben ablehnend, fast feindselig auf seinen Vater. Eine Reaktion, die in das eigentümlich zeitlose Setting des Films passt, die in einer durch Serien wie „Transparent“ geprägten Gegenwart aber ein wenig weltfremd wirkt. Ähnliches gilt für das Ensemble aus eindimensionalen Frauenfiguren, die mit Barbara Auer als Tante Martha und Julia Koschitz zwar gut besetzt sind, den Männern aber, von einem ironischen Highlight abgesehen, wenig entgegenzusetzen haben. Die Kulisse scheint für den Film gleichermaßen Fluch wie Segen zu sein. Denn sie bietet einerseits eine intensive Atmosphäre, die der Kameramann Jeremy Rouse gekonnt in Szene setzt. Andererseits gibt sie Anlass für Klischees, die der Film in seinem Verlauf nicht brechen kann. Nackte Menschen die händchenhaltend über eine Blumenwiese laufen. Fragile Schmetterlinge in Sonnenlicht und Großaufnahme. Eine alte Scheune als Altarraum für die verstorbene Mutter.
Es ist ein schmaler Grad zum Melodram und nicht immer gelingt Piotr J. Lewandowski dieser Balanceakt. Abgesehen davon ist „Jonathan“ für einen Debütfilm bemerkenswert sicher inszeniert, und als eine Art Saga über Leben und Freiheit entfaltet der Film eine eigentümliche Wirkung.
(Simone Schlosser)
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