Nachbarn
Schweiz, Frankreich 2021, Laufzeit: 130 Min., FSK 12
Regie: Mano Khalil
Darsteller: Serhed Khalil, Ismail Zagros, Jalal Altawil
Berührendes Drama über den Einzug der Baath-Diktatur in einem syrischen Dorf
Ein kleines Licht
„Nachbarn“ von Mano Khalil
1964 wird Regisseur Mano Khalil in einem Dorf nahe der Stadt Kamishli im Nordosten Syriens geboren. Von seinem ersten Schultag an wird er vom Lehrer auf die Baath-Partei gedrillt, die Schüler schwören dem neuen Staatspräsidenten, Diktator Hafiz al-Assad, allmorgendlich beim Appell ihre Treue. Im Unterricht wird ideologisch mobil gemacht gegen die Israelis. Spielerisch attackieren die Schüler mit dem Messer Stoffpuppen, die Juden darstellen. Der sechsjährige Schüler Mano versteht nicht, was ein Schwur ist, ein Diktator, ein Symbol. Und er versteht nicht, warum er Juden hassen soll. Mano hat eine jüdische Nachbars-Familie, man schätzt einander, der Junge zündet ihnen zum Schab-bat die Lichter an. Mano versteht nicht, warum die Juden ihre Rechte verlieren. Warum sie versuchen zu fliehen. Heute gibt es keine Juden mehr in Syrien, Khalil ist längst erwachsen und Syrien wird grausam regiert von Baschar al-Assad, Hafiz‘ Sohn. Seit 1996 arbeitet Khalil in der Schweiz als Autorenfilmer und Produzent, er stand zuvor in Syrien unter Beobachtung und durfte seinen Beruf nicht ausüben. In seinem Drama „Nachbarn“ erzählt Khalil nun von seiner Kindheit.
Der Held seiner Geschichte ist der junge Sero (Serherd Khalil), der in dörflicher Idylle an der Grenze zur Türkei aufwächst. Bescheidene Verhältnisse, aber ein herzenswarmes Umfeld: Seros Onkel Aram (Ismail Zagros) ärgert mit seinem Neffen die Grenzsoldaten mit Luftballons, die Mutter liebt ihren Sohn heiß und innig, mit den Gleichaltrigen heckt Sero Streiche aus. Mit den jüdischen Nachbarn, ein hilfsbereiter Markthändler mit Frau und der Tochter Hannah, ist Seros Familie freundschaftlich verbunden. Aram wirft ein Auge auf Hannah (Derya Uygurlar). Doch mit Hafiz al-Assad ziehen neue Zeiten ein ins Land. Und spätestens mit der Anreise des neuen, linientreuen Lehrers weht im Dorf ein neuer Wind. Sero darf kein Kurdisch mehr sprechen im Unterricht, auf dem Lehrplan stehen fortan Loyalität, Nationalismus, Antisemitismus. Motivator ist der Schlagstock. Der Geheimdienst wirft indes ein Auge auf Haram, die geliebten jüdischen Nachbarn müssen, längst entrechtet, die gefährliche Flucht erwägen. Sero kann das alles nicht begreifen.
Mano Khalik erzählt den Einzug des Unrechts durch Seros Kinderaugen. Der Regisseur, der bisher überwiegend dokumentarisch unterwegs war, erweist sich als Meister der Erzählung: Sein Drama bezieht seine Stärke über das kindliche Erleben einer Tyrannei. Anders als in Roberto Benignis „Das Leben ist schön“, fehlt Sero allerdings der clowneske Mittler. Der Regler, der dem Kind ein Stück Kindsein bewahrt, ist das junge Alter selbst. Von Beginn an wünscht sich der kleine Sero nichts so sehr wie einen Fernseher. Dieser Wunsch bleibt, nach all dem verstörenden Grauen, das das Dorf durchzieht, Seros Priorität. Sein Anker. Das ist herzzerreißend und ein Stück erlösend – auch wenn Khalik damit nichts verklärt: Seros Kindheit wird immer Trauma bleiben.
Khalik erzählt das Geschehen überwiegend sprunghaft, viele Sequenzen bilden Augenblicke. Zugleich kommt nie Unruhe hinein. Die Augenblicke verknüpft der Regisseur zärtlich und leichthändig zu einem narrativen Fluss. Dicht, ruhig, nah. Und jeder Moment sitzt tief. Khalik zeichnet den Kinderblick, er seziert aber auch zugleich von außen die Mechanismen der Repression. Das berührt. Das geht nah. Das entlarvt. Khalik gelingt das alles eindrucksvoll. Liebe und Hass, Halt und Verzweiflung, Solidarität und Zerrissenheit. Khalik hat es alles selbst erlebt. Mit Kinderaugen.
(Hartmut Ernst)
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