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Foto: Marlene Film Production, X Verleih

„Ich wollte mich auf eine Suche nach Kafka begeben“

15. Oktober 2025

Regisseurin Agnieszka Holland über „Franz K.“ – Gespräch zum Film 10/25

Die 1948 in Warschau geborene Agnieszka Holland („Charlatan“, „Green Border“) hat bei über 30 Filmen Regie geführt bzw. das Drehbuch geschrieben. „Bittere Ernte“ erhielt 1986 eine Oscar-Nominierung als bester internationaler Film, eine weitere Nominierung bekam 1991 ihr Drehbuch zu „Hitlerjunge Salomon“, das auf den Memoiren von Solomon Perel basierte. In ihrem neuen Film „Franz K.“, der am 23. Oktober bundesweit in den Kinos anläuft, hat sie sich nun mit dem Schriftsteller Franz Kafka auseinandergesetzt.

engels: Frau Holland, können Sie sich erinnern, wann Ihre Faszination für Franz Kafka begann?

Agnieszka Holland: Das ist schon wirklich sehr lange her, da war ich noch ein Teenager! Ich war ungefähr vierzehn oder fünfzehn Jahre alt, als ich den ersten Roman von Kafka las, „Der Prozess“. Später las ich dann „Die Verwandlung“ und „Briefe an Milena“ und war dann vollkommen fasziniert von ihm. Zunächst von ihm als Schriftsteller, denn seine Arbeiten waren für mich etwas vollkommen Neues. Ich entdeckte durch ihn die neue Realität des neuen Wortes. Ich kannte damals schon die psychologische Literatur des 19. Jahrhunderts ganz gut, die großen Romane von Dostojewski und Stendhal. Und plötzlich hatte ich Kafka entdeckt, bei dem es nicht um Gelegenheitspsychologie ging, bei dem man den Figuren nicht so akribisch folgte – hier war alles anders. Für mich war das, als ob ich vollkommen unbekanntes Land betrete. Das mir dann aber im Laufe der Zeit sehr vertraut wurde. Mir stellten sich dort so viele Fragen über meine Erfahrungen mit der Realität, dass sich das für immer in mir eingebrannt hat. Nachdem ich seine Briefe und seine Tagebücher gelesen hatte, hatte ich den Eindruck, dass ich ihn kenne und verstehe, und dass er mir als menschliches Wesen nah ist. Ich war fasziniert von seiner Mischung aus Zerbrechlichkeit und Stärke. Seine Zerbrechlichkeit, wenn er mit der Welt zurechtkommen musste, und seine Stärke, wenn er seinem Imperativ des Schreibens folgen musste, auch wenn dies in großem Widerspruch zur Erwartungshaltung seiner Familie und der Gesellschaft lag.

Eine der Schwerpunkte des Films liegt auf dem Vater-Sohn-Verhältnis Kafkas. Was wollen Sie einem heutigen Publikum über Kafka mitteilen?

Ich habe mir keinen Plan gemacht, was ich über Kafka vermitteln will. Ich wollte mich auf eine Suche nach ihm begeben. Ich würde mir nie anmaßen, dass ich die ultimative Erklärung darüber habe, wer Franz Kafka war. Auch ich weiß das nicht. Deswegen war mein Konzept für den Film, nach Kafka zu suchen. Durch Fragmente, durch verschiedene Perspektiven, durch die verschiedenen Schichten. Dann liegt es am Publikum, da etwas zu finden oder nicht, etwas für ihn zu empfinden oder nicht. Ich möchte da keine ultimativen Lösungen vorgeben.

Der Film ist kein klassisches Biopic, sondern eher eine surreale und kafkaeske Tour durch sein Leben. Wie haben Sie das mit Co-Autor Mark Epstein entworfen?

Ich hatte mit der Produzentin Sarka Cimbalova und dem Drehbuchautor Mark Epstein bereits erfolgreich am Film „Charlatan“ gearbeitet, und nun dachten wir darüber nach, uns gemeinsam Kafka zu nähern. Kafka hatte mich über all die Jahre hinweg nicht losgelassen, und Marek sagte, dass er nicht so recht wisse, wie er ein Drehbuch über ihn schreiben solle, da sein Leben eher langweilig gewesen sei. Eine der Storylines wollte er deswegen Kafkas Verhältnis mit Felice Bauer widmen. Das hat mir aber überhaupt nicht gefallen. Meiner Meinung nach mussten wir in unserer Erzählung dem Wesen Kafkas und wer er war gerecht werden, als Schriftsteller und als Mensch. Deswegen konnten wir nichts Klassisches, Finales machen, bei dem wir eine willkürliche Auswahl getroffen hätten, was wichtig war in seinem Leben und was nicht. Wir mussten uns öffnen und etwas Unvollendetes entwerfen, weil auch fast alle seine Schriften praktisch unvollendet sind. Viele denken, das ist so, weil er nicht die Zeit hatte, sie fertigzustellen, aber es war eher so, weil er durch seine Art, die Welt zu sehen, nicht im Stande war, seine Arbeiten zu vollenden. Deswegen haben wir nach einem adäquaten, relevanten Ansatz für die Geschichte gesucht, wie Kafka meiner Meinung nach war. Marek hatte damit ein paar Probleme, er ist ein bisschen wie Franz, zweifelte an seinem Talent und wusste nicht, ob er dem Stoff gerecht werden konnte. Nachdem er sich darin aber festgebissen und vierzehn oder fünfzehn Entwürfe geschrieben hatte, funktionierte das Ganze für mich, und wir begannen mit den Dreharbeiten. Die finale Fassung entstand dann aber erst im Schnittraum, wo wir weiter mit den verschiedenen Puzzleteilen spielten.

Große Teile des Films wurden auf Deutsch gedreht, wie schon häufiger in Ihren Filmen. Fällt es Ihnen leicht, deutschsprachige Schauspieler:innen zu inszenieren?

Ich brauche immer jemanden am Set, der das alles gut für mich übersetzen kann. Ich brauche Hilfe, um den Dialog fühlen zu können. Aber ab einem gewissen Zeitpunkt fühlt man auch die Wahrhaftigkeit einer Darstellung, ohne die Sprache zu verstehen. Ich nenne das emotionale Spaltung, man erkennt dann einfach, ob etwas stimmt oder nicht. Manchmal ist es sogar besser, die Sprache nicht zu verstehen, um die innere Wahrheit zu erkennen, die manchmal von den Worten sogar weggenommen wird. Es macht mir schon Spaß. Die meisten deutschen Schauspieler sprechen ohnehin Englisch, weshalb ich ihnen meine Anweisungen direkt geben kann. Als ich 1985 mit „Bittere Ernte“ meinen ersten deutschsprachigen Film drehte, sprach Hauptdarsteller Armin Mueller-Stahl noch gar kein Englisch, wir haben uns aber trotzdem sehr gut verständigt. Sogar die Worte des Dialogs sind dann nicht so wichtig wie die emotionale Kommunikation, die am Set stattfindet. Es ist schade, dass ich kein Deutsch gelernt habe, aber ich habe außerhalb der Drehzeiten nie in Deutschland gelebt, und jetzt ist es vermutlich zu spät.

Trotzdem sind Sie sehr fasziniert von der deutschen Geschichte und deutschen Personen …

Das stimmt, aber wir sind uns da in gewisser Weise auch sehr ähnlich. Und die deutsche Literatur im 20. Jahrhundert ist einfach meine Lieblingsliteratur. Da ist an erster Stelle Franz Kafka, aber auch Thomas Mann, der mich ebenfalls schon sehr lange fasziniert und von dem ich alles gelesen habe. Sogar mehrfach. Alle seine Briefe, die allein drei dicke Bände füllen. Irgendwann habe ich dann beschlossen, dass ich ihn als Mensch nicht mag, er war ein Arschloch. Da habe ich aufgehört, Mann zu lesen. Aber er ist trotzdem ein großartiger Schriftsteller, „Der Zauberberg“ ist für mich einer der besten Romane, die jemals geschrieben wurden. Aber ich mag auch Hermann Broch, Robert Musil und Rilke.

Idan Weiss ist wirklich die ideale Besetzung für Kafka. Wie haben Sie ihn gefunden, er war zuvor unbekannt?

Er hat einfach auf mich gewartet (lacht). Es war die Castingdirektorin Simone Bär, die ihn gefunden hat. Er war sogar der erste Vorschlag, den sie mir gemacht hat. Sie ist bedauerlicherweise nur wenige Wochen danach gestorben, sie war schon damals sehr krank. Ihre Mitarbeiter haben von da an weitergemacht, Idan war bereits beim ersten Probelesen dabei. Ich konnte nicht fassen, dass er bei den beiden deutschen Projekten über Kafka, die zum Jubiläum entstanden sind („Die Herrlichkeit des Lebens“ mit Sabin Tambrea und die Serie „Kafka“ mit Joel Basman; die Red.), nicht besetzt worden war. Ich bin den jeweiligen Regisseuren sehr dankbar, dass sie ihn nicht besetzt haben, denn ohne ihn wäre mein Film ganz anders geworden und hätte sicherlich die Hälfte seines Reizes eingebüßt.

Ich fand es auch sehr berührend, dass René Hofschneider eine kleine Rolle in „Franz K.“ übernommen hat, der durch ihren Film „Hitlerjunge Salomon“ 1990 bekannt wurde. Waren Sie über all die Jahre in Kontakt mit ihm?

Nein, das waren wir nicht. Aber ich kannte ihn bereits vor „Hitlerjunge Salomon“, weil er in einem alternativen Theater spielte, als ich an der Filmschule unterrichtete. Er hat damals auch in einigen Studentenfilmen mitgespielt, und ich mochte den Jungen sehr. Als ich dann „Hitlerjunge Salomon“ drehte, hatte ich ihn für die Hauptrolle vorgesehen. Aber er war zu alt für die Rolle, was ich ihm mit Bedauern mitteilte. Dann schrieb er mir und sagte, dass die Geschichte ja über einen Zeitraum von zehn Jahren spiele, und er die Rolle doch gegen Ende spielen könne. Er habe auch noch einen Bruder, der zwar kein Schauspieler sei, weil er noch zur Schule gehe. Vielleicht könne er dann die frühen Jahre der Rolle übernehmen. Daraufhin haben wir beide zum Casting nach Paris eingeladen. Dabei habe ich dann festgestellt, dass René für alle Phasen zu alt war, und sein Bruder Marco für alle Phasen perfekt. Das hat zwischen den Brüdern zu einem großen Konflikt geführt, sie haben sich auf der Straße geprügelt. Am Ende habe ich René dann für die Rolle des älteren Bruders besetzt. Es war sehr schön, ihn nach all den Jahren wiederzutreffen. Und ich habe auch Marco Hofschneider kürzlich wiedergetroffen, denn er präsentierte „Hitlerjunge Salomon“ vor einigen Monaten auf einem deutschen Filmfestival. Es war herzerwärmend, ihn auch nach all den Jahren wiederzusehen. Leider konnte ich René in „Franz K.“ keine größere Rolle geben, aber immerhin ist er dabei.

Der Folterapparat, den Sie in der „Strafkolonie“-Szene zeigen, dürfte dem Publikum nachhaltig in Erinnerung bleiben. War es schwer, diese Szene zu realisieren?

Diese Maschine zu bauen, wurde zu einer Obsession des Production Designers Henrich Boraros. Er verbrachte Wochen damit, sich die Maschine vorzustellen und sie dann umzusetzen. Ich wusste, dass es eine riskante Aufgabe war, aber ich wollte diesen Roman visualisieren und versuchen, beim Kinozuschauer dieselben Reaktionen hervorzurufen, die man als Leser des Buches hat. Und das funktioniert, was mich sehr befriedigt hat. „In der Strafkolonie“ ist zwar kein typischer Kafka-Roman, aber in gewisser Weise doch. Nachdem die Menschen nach dem Zweiten Weltkrieg und nach dem Holocaust Kafka gelesen haben, war dieser Roman wie eine Erleuchtung für sie. Es steckten viele Vorahnungen darin, er war wie eine Prophezeiung über die verachtenswerten, unmenschlichen und grausamen Methoden, die während der Nazizeit zum Rechtssystem wurden. Deswegen spielt dieser Roman meiner Meinung nach bei der Rezeption Kafkas eine wichtige Rolle.

Frank Brenner

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