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Julien Hervé
Foto: Presse

„Alles ist heute deutlich komplizierter geworden“

27. Februar 2024

Julien Hervé über „Oh la la – Wer ahnt denn sowas?“ – Gespräch zum Film 03/24

Seit rund 25 Jahren ist der in Cholet geborene Julien Hervé als Autor tätig. Von 2000 bis 2015 war er einer der hauptverantwortlichen Autoren der französischen Puppen-Satiresendung „Les Guignols de l’info“ auf Canal+. Ab 2016 hat er auch an den Drehbüchern für die Kinofilmreihe „Les Tuches“ mitgeschrieben, deren vierter Teil 2021 in die Kinos kam. Nach der Buddy-Komödie „Le Doudou“, die er gemeinsam mit seinem langjährigen Partner Philippe Mechelen inszenierte, hat er nun sein Solo-Regiedebüt vorgelegt: In „Oh la la – Wer ahnt denn sowas?“ (Start: 21.3.) mit Christian Clavier wollen die Tochter einer Aristokratenfamilie und derSohn eines Peugeot-Händlers heiraten. Doch die Ergebnisse der scherzhaft an die Eltern verschenkten DNS-Tests, die mehr über deren Wurzeln verraten sollen, sorgen für Spannungen zwischen den Familien.

engels: Monsieur Hervé, wie ist Ihnen die Idee zum Film gekommen? Hatten Sie bereits Christian Clavier im Hinterkopf, der ja bekannt ist für seine Rollen mit Familienproblemen?

Julien Hervé: Am Anfang kreiste die Idee eigentlich um einen DNS-Test. Ich hatte einige Freunde, die einen DNS-Test bei sich machen ließen, und dabei haben wir festgestellt, dass es häufig zu unerwarteten Resultaten kommen kann. Das erschien mir ein guter Ausgangspunkt für eine Komödie zu sein. Dann wollte ich zwei sehr französische Charaktere erfinden, die nicht derselben sozialen Schicht angehören. Einer ist sehr snobistisch, vornehm und aristokratisch, verkörpert also das alte Frankreich, das aus Traditionen und Kultur besteht. Der zweite sollte ein Emporkömmling sein, der es aus dem Nichts geschafft hat und sehr stolz darauf ist. Ich fand es interessant, diese beiden unterschiedlichen Menschen in die jeweils andere Situation zu werfen, ein bisschen wie bei La Fontaine (bekannter französischer Fabel-Autor; Anm. d. Red.). Als Publikum ist man am Anfang auf der Seite von Didier Bourdons Charakter, der mit seinem besten Auto zu den Schwiegereltern seines Sohnes fährt, um dort festzustellen, dass drei teurere deutsche Autos vor der Tür des Schlosses stehen, zwei Mercedes und ein Porsche. Er weiß schon in diesem Moment, dass er verloren hat. Christian Claviers Charakter ist grauenhaft, überhaupt nicht sympathisch. Diese Rollen spielt Christian geradezu fantastisch. Am Anfang hatte ich mir über die Besetzung noch gar keine Gedanken gemacht, aber als die erste Drehbuchfassung fertig war, erschien es mir eine gute Idee, Didier und Christian in diesen Rollen zu besetzen. 

Clavier ist bekannt für seine rassistischen und nationalistischen Filmrollen. Ist er Ihrer Meinung nach eine Art Nachfolger von Louis de Funès?

Ja, sicher, für mich ist er ohne Frage der neue Louis de Funès! Aber in diesem Film ist es für mich keine Frage des Rassismus. Christians Figur sieht den DNS-Test eher als eine Gelegenheit, um Didiers Figur aus der Familie zu stoßen, also die Hochzeit ihrer beiden Kinder zu verhindern. Er hat eine persönliche Verbindung mit den Deutschen, weil diese im Zweiten Weltkrieg das Schloss seiner Familie besetzt hatten. Es ist für ihn also eher eine persönliche Fehde als wirklich mit der Nationalität verbunden. Aber jeder der Charaktere hat mit den DNS-Enthüllungen seine Probleme. Didiers Figur beispielsweise ist nicht schockiert, dass sie deutsche Anteile besitzt, sondern weil diese 50% ausmachen. Denn dadurch muss er die Identität seines Vaters in Frage stellen. Christians Charakter sieht das als Chance, um sich über Didiers Figur lustig zu machen und ihn dadurch in eine unbequeme Lage zu bringen. Das kommt ihm gelegen, weil er ohnehin etwas gegen die anstehende Hochzeit hat. Das ist hier also weniger ein Fall von Rassismus oder Nationalismus, sondern eher eine Möglichkeit, den anderen lächerlich zu machen. Und sobald der nächste Umschlag mit dem DNS-Test geöffnet wird, entsteht die Chance, es dem anderen auf dieselbe Weise zurückzuzahlen.

Auch einige der visuellen Gags erinnern an Louis de Funès. Wie wichtig waren Ihnen diese nicht-verbalen Momente in einer ansonsten sehr dialogreichen Komödie?

Ja, die waren mir sehr wichtig, weil diese Art von Schauspielern das ganz wunderbar transportieren. Vieles davon stand gar nicht im Drehbuch, sondern entstand erst durch die Schauspieler, die ja allesamt zu den talentiertesten in Frankreich gehören. Viel der Komik entsteht durch Gesten und Blicke, ganz besonders in den Szenen, in denen Christian und Didier nur zu zweit auftreten, beispielsweise im Billardzimmer und im Weinkeller. Für mich war das geradezu unglaublich, denn sie haben meinem Text hier so viel mehr hinzugefügt. Für mich sind die beiden absolute Komikgenies, aber eben auch sehr gute Schauspieler. Didier Bourdon hatte sich dafür entschieden, nicht an die Comédie Française zu gehen, obwohl er es gekonnt hätte. Er ging stattdessen ans Konservatorium und genoss dort eine klassische Schauspielausbildung. Um überzeugend komische Rollen spielen zu können, muss man ein guter Schauspieler sein. Auch die beiden Frauen, Sylvie Testud und Marianne Denicourt, sind absolut fantastisch und sehr komisch. Marianne hat dabei eine sehr schwierige Rolle, weil sie ein Gegengewicht zu Christians Seitenhieben bilden und die Situation deeskalieren muss. Wenn sie ihren DNS-Umschlag öffnet, ist die vornehme Frau vom Ergebnis beschämt. Dabei geht es gar nicht so sehr um die portugiesischen Anteile in ihr, die dadurch ans Tageslicht kommen. Sie ist Mitglied einer sehr aristokratischen Familie, die einen exzellenten Wein anbaut und vertreibt. Aber am stolzesten war sie bislang auf ihre Abstammung von einer Prinzessin aus Venedig. Diese Geschichte kann sie nun nicht mehr erzählen, es ist nicht mehr alles so perfekt wie zuvor, was sie sehr beschämt. Für diese schwierige Rolle brauchte ich eine Schauspielerin, die das Aristokratische gut transportieren konnte. Marianne gelingt das schon in ihrer ersten Szene, als sie die Treppe herunterkommt und den Martins damit signalisiert, dass sie nicht demselben sozialen Level angehören. Das war mir sehr wichtig, denn in diesem Moment empfindet der Zuschauer Mitleid mit den Martins.

Sind denn die sozialen Unterschiede in Frankreich heute immer noch so von Bedeutung?

Ich denke schon, dass es nach wie vor große soziale Unterschiede gibt, nicht nur in Frankreich, sondern weltweit. Deswegen kann sich damit auch überall jeder leicht identifizieren. Aber besonders in einer französischen Komödie sind diese Unterschiede von Bedeutung und werden immer wieder erfolgreich eingesetzt. Christians Figur mag einem sehr altmodisch vorkommen, aber in der Gegend von Bordeaux leben auch heute noch viele Franzosen genau wie diese Figur. Aber die sozialen Unterschiede zwischen den beiden Familien sind meiner Meinung nach leicht zu verstehen und es fällt leicht, sich mit ihnen zu identifizieren.

Französische Komödien sind in Deutschland sehr beliebt. Haben Sie nicht befürchtet, einige Zuschauer zu vergraulen, weil sie sich hier über die Deutschen lustig machen?

Ich weiß nicht. Meiner Meinung nach bekommen im Film die Franzosen den meisten Spott ab. Wir halten uns oft für sehr vornehm, mögen unsere Nachbarn nicht, all das, was Christians Figur im Film verkörpert. Er ist der ultimative Franzose. Ich hoffe, dass das auch das deutsche Publikum verstehen wird, dass es eher darum geht, sich über die Franzosen als über irgendwelche anderen Nationen lustig zu machen. Den ganzen anderen Stoff habe ich nur mit hineingebracht, um Christians Charakter Futter zu liefern. Ähnliches gilt für Didiers Figur. Er ist zwar glücklich in seinem Beruf, weiß aber, dass er nicht sehr gebildet ist und einer niedrigeren sozialen Schicht angehört. Als er dann erfährt, dass seine Frau verwandt sein könnte mit der königlichen britischen Familie, benimmt er sich auch sehr überkandidelt. Ich liebe das, weil es der menschlichen Natur entspricht. Dieses Verhalten versteht man auf der ganzen Welt, es ist universell. Für mich ist das auch kein französischer Film, sondern ein europäischer. Denn wir sind alle Brüder, Schwestern oder Cousins, entstanden aus einem DNS-Mix. Das spiegelt die Geschichte Europas wider, in der es ständig Invasionen, Kriege, Besetzungen etc. gab. Deswegen ist die Botschaft des Films Toleranz. Das wird hier mit Mitteln wie Klischees und Veralberungen transportiert, aber der Film entwirft ein größeres Bild. Gerade auch die beiden erwachsenen Kinder vermitteln diesen moderneren Ansatz, mit dem sich das Publikum identifizieren kann. Sie sind total schockiert über die Reaktionen ihrer Eltern und sagen ihnen, dass sie noch immer dieselben Personen sind wie vor dem Öffnen der DNS-Testergebnisse.

Wissen Sie, dass einige erfolgreiche französische Komödien mittlerweile von Deutschen mit deutschen Schauspielern nachgedreht werden? Was halten Sie davon?

Ich glaube, dass kann eine gute Idee sein. Auch dieser Film ist entstanden, um von anderen noch einmal neu interpretiert zu werden. Jedes Land hat seine eigene Geschichte und seine eigenen Beziehungen zu Nachbarländern. Wenn man den Film noch einmal in Deutschland drehen würde, wären die Ergebnisse in den DNS-Tests der Figuren andere. Denn die Länder haben eine unterschiedliche Historie. Würde der Film in Griechenland spielen, würden sich in der DNS sicherlich türkische Spuren finden, denn die beiden Länder haben eine umfangreiche gemeinsame Geschichte. Der Ansatz der Geschichte ist universell und könnte überall auf der Welt unter etwas anderen Vorzeichen adaptiert werden. Ich könnte mir also durchaus vorstellen, dass von diesem Film in anderen Ländern ein Remake gedreht wird. Das Problem bei Komödien ist, dass sie nicht einfach zu exportieren sind. Meist sind sie zu länderspezifisch, zu französisch oder zu deutsch. Deswegen kann ich gut verstehen, dass die Deutschen französische Komödien adaptieren, damit die Inhalte der eigenen Kultur eher entsprechen.

Heutzutage muss alles politisch korrekt sein. Ist das nicht das genaue Gegenteil von Humor?

Ich habe fünfzehn Jahre für die satirische französische Fernsehsendung „Les Guignols de l'info“ als Autor gearbeitet, einer sehr erfolgreichen Puppenshow (vergleichbar mit der hiesigen Puppenserie „Hurra Deutschland“; Anm. d. Red.), und damals hatten wir auch schon immer Diskussionen zu diesem Thema. Am wichtigsten ist es meiner Meinung nach, Ideologien aus seiner Arbeit herauszuhalten. Ich schreibe schon seit mehr als 25 Jahren und habe dabei eine Routine entwickelt. Wenn mich etwas zum Lachen bringt, versuche ich es aufzuschreiben in der Hoffnung, dass es auch andere Menschen zum Lachen bringen wird. Heutzutage ist das aber wirklich etwas schwieriger geworden, man muss bei allem deutlich mehr aufpassen, weil alles deutlich komplizierter geworden ist. Bei diesem Film habe ich mir darüber aber keine Gedanken gemacht, denn ich habe immer etwas in meinem Kopf, was mich davor bewahrt, zu weit zu gehen. Mir ist bei meinen Figuren auch immer die Entwicklung wichtig. Wenn man sie im Laufe der Handlung menschlich oder intellektuell wachsen lassen will, müssen sie sich am Anfang auf einem niedrigen Niveau befinden. In einer Komödie muss man da auch immer mit Klischees arbeiten, und es fällt einem zumeist leichter, sich über andere als über sich selbst lustig zu machen. Die Ideen dafür kommen dann zumeist nicht von Fakten, sondern aus Gefühlen heraus.

Frank Brenner

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