Sie wurde in Marbach am Neckar geboren und wuchs auf der schwäbischen Scholle auf. Zwischen Weinbergen und Kochtöpfen als Tochter von Köchen und Wengerter, wie sie erzählt. Ganz unaufgeregt berichtet sie, das scheint so typisch für Heike Fink zu sein, diese Unaufgeregtheit und dieses Sehr-bei-sich-Sein. Was sie interessiert, dem geht sie nach, und was sie macht, das macht sie richtig, also hat sie vorm Studium ein Volontariat absolviert, bei einer gastronomischen Fachzeitschrift. Das war allerdings kein bloß familiär bedingter Impuls, die Wahl-Wuppertalerin gehört einfach nicht zu den Menschen, die lamentieren oder bloß theoretisch bleiben, sondern die Dinge tun. So verbrachte sie 2007 Zeit in Kairo. „Und als wir zusammen mit Freunden durch die Stadt fuhren, stieß ich auf das Thema“, erinnert sie sich. „Wir“, das sind sie und ihr Ehemann, seit 15 Jahren sind die beiden ein Paar. „Das Thema“ sind Menschen, die auf Friedhöfen leben.
Und weil es etwas so morbide Klingendes, also zusammen mit Toten zu leben, nicht allein in Kairo, sondern u.a. ebenso in Manila und bei einem indonesischen Naturvolk gibt, hat die 42Jährige gemeinsam mit dem befreundeten Regisseur Bernd Schaarmann das Konzept zu einem Dokumentarfilm geschrieben. „Nice places to die“, so der Titel, ist jetzt von der Filmstiftung NRW mit dem Gerd Ruge Incentive-Stipendium ausgezeichnet worden. „Das Geld ist dafür da, um vor Ort recherchieren und drehen zu können.“
DAS WESEN DER DINGE ERGRÜNDEN
Die Geschichte, die sie erzählen will, ist sehr anders als das, was sie bislang – überaus erfolgreich – machte. Die Liste ihrer Drehbücher ist lang, daraus resultierten Kurzfilme wie „Totes Kapital“, Komödien im Stile „Robert Zimmermann“ oder Kinderfilme wie „Himbeeren mit Senf“. Ebenso stattlich ist das Verzeichnis von Förderungen, Stipendien und Preisen, allein die „Himbeeren ...“ wurden 2007 vom Kuratorium Junger Deutscher Film und Münster.Land gefördert und 2009 für den Deutschen Drehbuchpreis nominiert.
Jetzt müssen also in Kairo und Manila Menschen gefunden werden, die den theoretischen Hintergrund – Menschen leben statt in Slums auf Friedhöfen, weil es dort weniger gefährlich ist, das indonesische Naturvolk beerdigt seine Toten nur einmal jährlich, so lange bleiben sie bei ihren Familien – dokumentarisch erlebbar machen. „Das wird spannend, Leute ausfindig zu machen, die etwas zu erzählen haben.“
„Nice places ...“ ist erst der zweite Dokumentarfilm der studierten Literaturwissenschaftlerin und Soziologin. „Ich gehe mit klaren Vorstellungen los, und meist findet man etwas anderes heraus, als man erwartet hat“, verweist sie auf bereits gemachte Erfahrungen. Was Themenfindung und Leute-Kennenlernen angeht, glaubt sie nicht an Zufälle, sondern an die „günstigen Momente“. Eigentlich möchte sie bloß schreiben, „mehr will ich gar nicht“. Das Schreiben, das sei so „viel leichter und bequemer als alles andere“, und die Auseinandersetzung mit dem Wort, die mag sie. Aber dann trifft sie auf andere Leute, weil sie offensichtlich vielem gegenüber aufgeschlossen ist, kommt häufig ins Gespräch, stößt auf für sie spektakuläre Facetten – und prompt ergibt sich ein neues, spannendes, zu ergründendes Thema. Nur die Mathematik, dies sei am Rande erwähnt, entwickelt für sie keinen Zauber. Der Heisenbergschen Unschärferelation, einer Aussage aus der Quantenphysik, allerdings gewinnt sie etwas ab. „Das wende ich auf meinen Kosmos an.“ Respekt.
UNDOGMATISCH, DAFÜR UNTERHALTSAM
Ab Dezember aber fokussiert sie sich zusammen mit Bernd Schaarmann auf das Todesthema, diese „Lebendigkeit im Angesicht des Todes, bei dem wir das Leben feiern wollen“. Bis es auf große Tour geht, schreibt und recherchiert sie andere Geschichten. Vor dem Hintergrund, wie sich ein Heimatbegriff definieren lässt, bearbeitet sie momentan ein anderes Projekt mit dem Arbeitstitel „Eisheimat“. Einen Monat war sie gerade in Island, um dort Frauen, die nach dem Zweiten Weltkrieg dorthin ausgewandert sind, zu treffen. Diese jetzt über 80Jährigen wurden nach Kriegsende als Landarbeiterinnen angeworben – aber vielleicht auch für einen heimlichen Heiratsmarkt. Von 40 Frauen, mit denen sie Kontakt aufnahm, um Vermutungen zu ergründen, waren acht bereit, mit ihr zu sprechen. „Ich bin bloß mit einer Idee losgegangen und habe mit nicht mehr als der Spitze eines Eisberges gerechnet. Diese Resonanz aber ist ein Volltreffer.“
Immer so, wie es passt, widmet sie sich ihren Arbeiten. „Das ist wahrscheinlich der größte Luxus überhaupt, sich seine Zeit frei einteilen zu können.“ Kommt sie mal nicht voran, macht sie „Tempo und Strecke, um den Kopf frei zu bekommen“ bei ausgiebigen Spaziergängen im Kaiser-Wilhelm-Hain. „Dann macht es ‚klack’ im Kopf, und es synapsieren sich Dinge, die vorher nicht zusammenpassten.“ „Writer‘s High“ nennt sie den Zustand – aus dem heraus sie übrigens bereits einen Roman und ein Kinderbuch verfasst hat. Beides liegt bei der Agentin. „Haben wir nicht alle jeden Tag viele tolle Ideen? Wir glauben nur nicht immer an sie und setzen sie nicht um.“
Wie gesagt, Heike Fink gehört nicht zu denen, die bloß über Projekte reden – sie realisiert sie.
Stipendium:
Im August wurden sechs Dokumentarfilmer mit dem Gerd Ruge Projekt-Stipendium ausgezeichnet. Heike Finke und Bernd Schaarmann bekamen 20.000 Euro für ihr offensichtlich so interessant klingendes Treatment, um ihr Projekt – das Leben mit Toten und der Frage, wie man auf dem Friedhof im hautnahen Kontakt mit Toten ein Zuhause finden kann – binnen der kommenden 18 Monate zu realisieren.
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