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Kampf ums Überleben: André M. Hennicke in „Der Mann aus dem Eis“.
Presse

„Die Leute merken sich die bösen Rollen besser“

26. Oktober 2017

André M. Hennicke über „Der Mann aus dem Eis“, unbekannte Sprachen und Antagonisten – Roter Teppich 11/17

André M. Hennicke hat ein Gesicht, das man nicht so schnell vergisst. In fast 200 Rollen hat der 1958 in der damaligen DDR geborene Schauspieler in den letzten 30 Jahren Akzente gesetzt. Zu seinen bekanntesten Filmen zählen „Antikörper“, „Der Untergang“ oder zuletzt „Victoria“ und „Jonathan“. Auch für Francis Ford Coppola („Jugend ohne Jugend“) und David Cronenberg („Eine dunkle Begierde“) hat er schon vor der Kamera gestanden. Am 30. November läuft sein neuer Film „Der Mann aus dem Eis“ in den Kinos an, in dem er neben Jürgen Vogel einen Steinzeitmenschen rund 3000 Jahre vor Christi Geburt darstellt..

engels: Herr Hennicke, was ging Ihnen durch den Kopf, als Sie für „Der Mann aus dem Eis“ ein Drehbuch bekamen, in dem alle Dialoge in einer Sprache verfasst waren, die Sie gar nicht kannten?

André M. Hennicke: Da steht ja eine Geschichte dahinter. Ich bin sieben Jahre mit einer Wienerin zusammen gewesen, dadurch war ich mit der Geschichte des Ötzi sehr vertraut. Ich habe sie immer gefragt, warum die Österreicher aus dieser Weltmarke keinen Film machen – immerhin stehen die Touristen aus China, Japan und anderswo in Bozen um den Block herum, um die Überreste des Ötzi zu sehen. Darauf hat meine Freundin damals geantwortet: „Weil’s ma deppert san!“ (lacht) Aber nun sind die Österreicher ja als Koproduzenten an „Der Mann aus dem Eis“ beteiligt. Bei den Angeboten, die man als Schauspieler heutzutage bekommt, sind immer Handys, Autos, Pistolen oder irgendwelche modernen Sachen mit dabei. Deswegen fand ich es einfach unglaublich, einen Film zu machen, der in der Frühzeit unserer Vorfahren spielt und damit die Menschheitsgeschichte erzählt. Da gibt es überhaupt nichts Vergleichbares. Es gibt ein paar semi-dokumentarische Sachen, aber es gibt außer dem Ötzi ja auch nicht viele Nachweise über diese Zeit. Ich fand es toll, daraus eine dramatische Hintergrundgeschichte zu machen, da wollte ich unbedingt dabei sein. Ich war nämlich auch scharf auf die Waffen und diese Klamotten, die die damals getragen haben. Das war alles so außergewöhnlich, dass ich mich auch sehr eingesetzt habe, die Rolle zu bekommen. Die Österreicher hätten lieber einen Österreicher in der Rolle gesehen, zumal die Hauptrolle mit Jürgen Vogel ja auch schon von einem Deutschen gespielt wurde. Da habe ich angeboten, für die Rolle die österreichische Staatsbürgerschaft anzunehmen (lacht), aber es hat dann auch so noch geklappt mit der Besetzung.

War die vorrätische Sprache einfach zu erlernen oder hatten Sie einen Sprachcoach mit am Set, der Ihnen dabei geholfen hat?

Wir hatten zunächst einen zweistündigen Vortrag von einem Linguisten, der sich mit der damaligen Sprache auskennt. Die eigentliche Sprache ist ja eher eine nicht zu widerlegende Annahme. Wenn wir das sprechen, kann niemand sagen, dass es falsch ist. Aber ob es richtig ist, kann auch keiner beweisen. Es basiert auf den Wurzeln der romanischen Sprache, die noch heute in den Tiroler Gebieten gesprochen wird. Es waren auch keine größeren Monologe, sondern nur kleinere Versatzstücke, die waren einfach zu lernen. Ich hatte zuvor schon einen italienischen Film gedreht, in dem ich eine große Rolle mit sehr viel Text komplett auf Italienisch spielen musste, obwohl ich die Sprache auch nicht konnte. Ein Schauspieler muss auch ein bisschen sprachgewandt sein oder neugierig, andere Dinge einmal auszuprobieren. Wenn man nicht viel Text hat, beginnt die eigentliche Schauspielerei. Denn alles andere ist nur Textaufsagen, bei dem häufig nicht viel Leben dabei ist. Hier haben wir es umgedreht und wenig geredet, dafür umso mehr gespielt. Und das mit größtenteils zugeklebtem Gesicht, das war eine zusätzliche Herausforderung, die mich besonders gereizt hat.

Ich könnte mir auch vorstellen, dass die Dreharbeiten körperlich anstrengender waren als vergleichbare Dreharbeiten, richtig?

Ja, auf jeden Fall. Aber ich hatte zwei Vorteile: Ich komme selbst aus den Bergen und musste als Kind immer durch die Berge, um zur Schule zu kommen, eine Dreiviertelstunde durch die Wälder. Da wusste ich, was auf mich zukommt. Und ich mache sowieso drei- bis viermal Sport in der Woche, und habe mich entsprechend auf den Dreh vorbereitet, weil ich da schon jüngere Kollegen habe scheitern sehen. Das war ja eine angenehme Komponente: Wir waren den ganzen Tag an der frischen Luft und haben Sport gemacht.

Haben Sie am Set durch die anwesenden wissenschaftlichen Experten auch zusätzlich noch etwas über das Leben von vor 5000 Jahren lernen können?

Die Hauptgrundlage war der Ötzi selbst, denn er hatte das ganze Sammelsurium dabei. Er hatte nicht nur die Waffen und die Kleidung dabei, sondern man konnte auch seinen Mageninhalt untersuchen und hatte den Pfeil in seiner Schulter. Das allein erzählt schon unglaublich viel. Der Ötzi war auch tätowiert, aber man konnte bis heute nicht genau klären, was das bedeutet. Manche glauben, es sind Symbole der Ehrerbietung, andere meinen, es sind medizinische Tätowierungen. Da sind noch so viele Fragen offen, aber man hat als Künstler auch noch seine Fantasie, um Dinge zu ergänzen, sie lebendig und sichtbar zu machen. Natürlich gibt es die künstlerische Freiheit, aber ich schätze, die Geschichte, die wir erzählen, ist zu 80% authentisch.

Hat Sie das Physische an Ihrer Rolle zusätzlich gereizt, einfach mal mehr zu handeln, als Dialoge aufzusagen?

Auf jeden Fall! Das ist ein Film aus einer Zeit, die nicht mehr existiert und die wir kaum kennen. Bei Mittelaltersachen und Antikem oder Ereignissen aus der jüngeren Vergangenheit haben wir sehr viele Quellen, um alles glaubwürdig zu gestalten. Aber hier gab es einen unglaublichen Freiraum. Als ich das Buch gelesen habe, war mein erster Gedanke, dass ich enormes Glück hatte, dass meine Vorfahren solche Drückeberger waren oder immer nur die Höhle saubergemacht haben, sonst wäre ich jetzt nicht hier (lacht). Im Film sieht man, wie schwer es damals war, zu überleben. Es wurden viele aus Versehen umgebracht, viele sind verhungert oder wegen Krankheiten gestorben. Unsere Vorfahren müssen sich immer irgendwie durchgemogelt haben, denn die großen Kriege und Auseinandersetzungen kamen erst später. Es geht um 5000 Jahre, und unsere Vorfahren kommen genau aus diesem Gebiet und haben all das überlebt.

Die wunderbare Naturkulisse Südtirols ist im Film ebenfalls sehr wichtig. Kamen Sie selbst dort auch gut zurecht, weit weg von der modernen Zivilisation?

Viele historische Filme werden ja fernab jeglicher Zivilisation in der Walachei gedreht. Ich komme aus den Bergen, habe zwanzig Jahre im Erzgebirge gelebt. Das war für mich nichts Neues oder Aufregendes, ich wusste schon, was mich da erwartet. Für diesen Film hatten wir aber eine grandiose Landschaft. Wir haben im Spätsommer angefangen zu drehen, und sind dann später bis auf 2500 Meter hinauf auf den Möllentaler Gletscher und haben dort bei -15 Grad gedreht. Nach zehn Minuten sind uns da immer die Finger abgefroren. Dieser Wechsel der Landschaften und der klimatischen Bedingungen mit Temperaturschwankungen von 20 Grad vom einen Tag auf den anderen, das war schon toll. Beim Film kommt auch immer gleich einer an mit einer Decke oder einer Wärmflasche, wenn wir frieren.

Ist es nicht ein wenig deprimierend, wenn man in einem Film mit Franco Nero spielt, und in der einzigen Szene mit ihm einfach nur an ihm vorbeiläuft?

Wir sind beide nur Schauspieler. Ich fand es großartig, ihn zu treffen, weil er sehr bekannt ist und viele beliebte Genrefilme gemacht hat. Und ich achte Leute, die bis ins hohe Alter hinein so erfolgreich sind. Ich möchte auch in seinem Alter noch in den Bergen stehen und Steinzeitklamotten tragen.

Sie werden häufig in der Rolle des Antagonisten besetzt. Stört Sie diese Art der Stereotypisierung oder ist es für Sie vielleicht sogar interessanter, den Gegenspieler zur Hauptfigur zu spielen?

Das Verhältnis meiner Rollen beträgt ungefähr 70 zu 30. 70% haben einen negativen, gewalttätigen Background, aber meine Preise habe ich alle für die anderen Rollen bekommen. Die Filmleute wissen, dass ich auch andere Sachen richtig gut hinbekomme, und dafür schon ausgezeichnet worden bin. Mein normales Leben ist so langweilig wie das aller anderen. Ich muss auch einkaufen und saubermachen und mich durch den Alltag kämpfen. Wenn ich dann solche Angebote bekomme, bin ich sehr glücklich, weil ich dann die andere Seite zeigen kann, und was alles in mir steckt. Außerdem habe ich festgestellt, dass sich die Leute die bösen Rollen besser merken, auch wenn sie nur klein sind. Ich bin froh, dass ich alle Seiten bedienen kann. Es gibt viele Schauspieler, die immer nur die guten Menschen angeboten bekommen, die Väter und die netten Typen. Aber wenn ich immer nur die netten Rollen spielen müsste, wäre schnell Langeweile angesagt. Deswegen suche ich mir die Rollen schon auch in diese Richtung aus, denn die bleiben auch mehr im Gedächtnis der Zuschauer haften.

Interview: Frank Brenner

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