Ein sentimentaler Rückblick voller kurzweiliger Anekdoten hätte es sein können. Und das ist es auch. Und viel mehr… Dieter Kosslick, von 2002 bis 2019 Leiter der Berlinale, hat die letzten beiden Jahre genutzt, um seine Autobiografie zu schreiben. Down-to-earth wie der gebürtige Schwabe mit dem holprigen Englisch ist, heißt es doppeldeutig „Immer auf dem Teppich bleiben“. Zum einen zielt der Titel darauf ab, dass man als Leiter nicht nur des größten deutschen, sondern neben Cannes und Venedig wohl bedeutendsten Filmfestival weltweit eine gehörige Portion Gelassenheit mitbringen muss. Denn neben all dem Netzwerken, Strippenziehen und Planen muss man auch immer wieder Rückschläge einstecken, kurzfristig Umplanen und Improvisieren.
Von diesen Pannen erzählt Dieter Kosslick im charmanten Plauderton, blickt hinter die Kulissen des Filmgeschäfts, stets die Diskretion wahrend. Zum anderen zielt der Titel natürlich auf den Roten Teppich ab. Dort geht es um das Repräsentieren – dort werden die Gäste gefeiert, dort feiert sich die Branche selbst. Auch von dieser glanzvollen Seite des Filmgeschäfts erzählt er. Man merkt dabei immer wieder, wie wichtig ihm die Menschen hinter den Stars sind, mit denen er in seiner Laufbahn zusammengekommen ist. Neben den Filmen, um die es hier anders als auf dem Festival nur am Rande geht, thematisiert Kosslick auch immer wieder politische Themen. Denn für sein politisches Engagement und seinen Einsatz bei ökologischen Themen war die Berlinale in seiner Zeit bekannt.
Dass dieses Engagement nicht aus dem Nichts kam, erfährt man in Kosslicks Erinnerungen an seine Lebensstationen – angefangen bei der ersten Kinobegeisterung als Kind im Schwabenland über die Studentenzeit in München, politische Arbeit, frühen Öko-Journalismus und erste Filmarbeit beim Filmbüro und der Filmförderung in Hamburg und später dann der große Aufschlag in NRW, wo er als Geschäftsführer der Filmstiftung NRW seinen Beitrag zum Strukturwandel des Bundeslandes hin zum Medienland leistete.
Dieter Kosslick blickt aber nicht nur zurück. Er wagt im dritten Teil seines Buches auch einen Blick in die Zukunft des Kinos. Und hier kommt wieder alles zusammen: Kosslicks frühes Interesse an Ökologie führt zu der Forderung von nachhaltigen Kinos, Festivals und einer nachhaltigen Filmproduktion – dem sogenannten Green Filmmaking. Und mit einem Blick auf die vergangenen Krisen des Kinos – von der Einführung des Tonfilms über die Konkurrenz durch das Fernsehen, Video und nun die Streamingdienste – entwickelt er Ideen für die Zukunft des Kinos: als Film, als gesellschaftlicher Ort und als Architektur. Dass da die Ansprache an die Jugend nicht fehlen darf, ist klar. Und so steht am Ende des Buches nicht nur die klare Forderung der Nachhaltigkeit der Filmbranche – auf dem grünen Teppich – sondern auch die eines Bildungsauftrags, damit das Kino auch noch für den Nachwuchs eine „Traumfabrik“ sein kann.
Dieter Kosslick: Immer auf dem Teppich bleiben. Von magischen Momenten und der Zukunft des Kinos | Hoffmann und Campe | 336 S. | 25 €
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