Unberechenbar bleiben die Naturgewalten. Eigentlich hätte die Leiche von Ernest Richter nie ans Tageslicht kommen dürfen. Aber das Wetter schlägt in diesem Dezember Kapriolen vor der Küste von Kapstadt. Wind und Strömung spülen den Körper des jungen Geschäftsmanns aus einer Sandbank heraus. Zeitgleich wird Bennie Griessel in einem anderen Teil der Stadt zu einem Tatort gerufen, ein Kollege hat seine Frau und seine zwei Töchter getötet. Der Beschützerinstinkt kann auf wahnhafte Weise umschlagen und zur Gefahr für das persönliche Umfeld der Ermittler werden. Auch Bennie bewegt sich psychisch auf einem schmalen Grat. Er ist Alkoholiker, beginnt wieder zu trinken und gerät in eine Schlägerei. Deshalb muss sein farbiger Kollege Cupido den Mordfall an Ernest Richter übernehmen.
Deon Meyer entwirft in seinen Romanen ein breites Personenspektrum, so dass sein Standardermittler Bennie Griessel diesmal aus dem Zentrum der Geschichte rücken kann. Der Südafrikaner las nicht nur in diesem Herbst bei der lit.Cologne vor großen, ziemlich gut gefüllten Sälen aus seinem neuen Roman „Icarus“. Meyer eröffnet uns einen Panoramablick auf diese eigenartige Gesellschaft, die mit afrikanischen und europäischen Traditionen zurechtkommen muss und in deren Mittelstand westliche Lebensgewohnheiten den Ton angeben. Der Tote aus dem Meer wurde erdrosselt, er war der Chef einer Internetplattform, die unter dem Namen Alibi die nötigen Details für einen unbemerkten Seitensprung zur Verfügung stellte. Deon Meyer kennt sich mit seinen Sujets aus, die Agentur für besondere Dienste wird detailliert entfaltet. Seine große Leserschaft schätzt eben auch den breiten Erzählteppich, in den man sich beim Schmökern seiner Bücher so richtig einwickeln kann.
Aus verschiedenen Richtungen geht Meyer die Ereignisse an, neben der Polizei spielt auch die farbige Geschäftsführerin der Internetplattform eine Rolle, in die sich der ermittelnde Kommissar verknallt, ohne dass er es so recht bemerkt. Eine Anwältin in mittleren Jahren wartet im Schatten des Geschehens auf ihren Einsatz. Ihr gegenüber sitzt ein Winzer, Spross einer der ältesten Familien des Landes, der massiv in den Fall verwickelt ist. Mit ihm eröffnet Deon Meyer den Blick auf den Weinanbau und das internationale Geschäft mit speziellen Rebsorten. Als guter Dramaturg wechselt er geschickt von einem Schauplatz zum nächsten, so dass man immer wissen will, wie sich die Probleme, die jede seiner Figuren zu bewältigen hat, mit zunehmender Dynamik entwickeln. Das eigentliche Faszinosum dieses Romans sind denn auch die Menschen, die Meyer ganz nah zu uns heran holt. Ein Vergnügen, das Lust auf ein Land und seine faszinierende Gesellschaft macht.
Deon Meyer: Icarus | A. d. Afrikaans v. Stefanie Schäfer | Rütten & Loening | 430 Seiten | 19,99 €
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