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Die Abbildung zeigt Victor Adler in einer Karikatur aus dem Jahre 1905 (Ausschnitt)

Verehrter Freund!

27. September 2022

engelszungen 10/22

Wasserheilanstalt Sulz bei Wien, 26.5.1892

Aus dem Datum ersiehst Du, daß ich nicht in Wien bin, und warum Dein Brief mich etwas später erreichte.

Dein Anerbieten ist so freundschaftlich in der Sache, so überaus zart in der Form und so ehrend durch die Person, die es macht, daß ich Dir ganz offen gestehe, es ist seit ziemlich langer Zeit der erste Lichtblick, das erste, was mich im Innern erfreut hat. Dabei sehe ich ganz ab von der an und für sich wesentlichen Tatsache, daß mir damit hic et nunc ein großer Dienst geleistet wird. Freilich wird das Geld zunächst dazu dienen, daß ich mich in Muße durch einige Wochen der Partei entziehen kann. Ich habe Emma, die auf dem Wege entschiedener Besserung und eigentlich Rekonvaleszentin ist, hierhergebracht und muß nun bei ihr bleiben. Es ist das unerläßlich zum endlichen Gelingen ihrer Kur und ich muß es tun, denn mit ihrer Genesung ist meine ganze Existenz verknüpft. Es geht um ihren Kopf – aber nicht minder um den meinen. Ein weniges schreibe ich von hier aus und bin wöchentlich einmal in Wien; auch ist für Vertretung ziemlich gesorgt. Zum Parteitag werde ich natürlich drin sein.

Was du und August von meiner Wichtigkeit für die österreichische Partei sagten, ist, es wird euch freuen es zu hören – nicht mehr wahr. Wir sind heute so weit, eine ganze Reihe von tüchtigen und verläßlichen Leuten zu haben, denen nur der wissenschaftliche Schliff fehlt und vielleicht etwas Initiative. Trotzdem sehne ich mich natürlich sehr danach, den Kopf freier zu bekommen, und so nehme ich denn auch in diesem Betrachte Dein Anerbieten mit Freude an. […] Jedenfalls aber danke ich Dir aus vollem Herzen für Deine Freundschaft und Fürsorge. Daß ich mich nicht einen Moment sträube, kommt daher, daß ich es stets für mindestens ebenso menschlich und edel gehalten habe, von Freunden zu nehmen, als Freunden zu geben. […]

Zu Pfingsten versuchen wir wieder einen Parteitag. Die Opposition kriecht zu Kreuze und wird – schimpfend natürlich – aber gerne die goldene Brücke betreten, die wir ihr bauen. Das Verbot des Linzer Parteitages hat uns sehr genützt und ich vermute, daß die Regierung sich hüten wird, uns nochmals so billige Lorbeeren einheimsen zu lassen. Wenn wir zum Parteitag auf einige Zeilen von Dir rechnen könnten, würde es der Sache nützen. Wie sich Sekretär Reumann mit den offiziellen Einladungen abfindet, weiß ich freilich nicht.

Meine Emma grüßt herzlich Dich und Luise. Dein Brief hat sie zu Tränen gerührt.

Dein Dich verehrender Freund Victor Adler

Victor Adler (1852-1918) war einer der populärsten Vertreter der österreichischen Sozialdemokratie – vergleichbar August Bebel in Deutschland. Seine Frau Emma (1858.1935) war als Schriftstellerin tätig. 1891 erlitt sie wegen Arbeitsüberlastung und drückender Geldsorgen einen psychischen Zusammenbruch. Engels unterstützte das Paar daraufhin mit erheblichen Geldzahlungen.

Quellenangabe: Victor Adlers Aufsätze, Reden und Briefe, 1. Heft: Victor Adler und Friedrich Engels, hg. vom Parteivorstand der Sozialdemokratischen Arbeiterpartei Deutschösterreichs, Wien 1922, S. 36-38; die Abbildung zeigt Victor Adler in einer Karikatur aus dem Jahre 1905 (Ausschnitt).

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