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August Bebel (geb. 1840) in den 1880er Jahren

Lieber Engels!

31. Oktober 2023

engelszungen 11/23

Plauen-Dresden, den 2. November 1886

Ich hoffte nicht, dass ich noch in der Freiheit Dir Deinen Brief vom 23. v. Mts., wenn auch nur kurz, beantworten könnte.

Die Ordre auf Haftantritt lässt unerwartet lange auf sich warten und steht mit der Eile, die das Reichsgericht für die Revision hatte, in einigem Kontrast. Ich rechne indes sicher, dass sie diese Woche eintrifft; wenn nicht, melde ich mich freiwillig, weil ich nicht gar zu spät ins nächste Jahr hinein sitzen möchte. Der August kommt so schon bis zur Freilassung heran. Deine Anspielungen auf eine mögliche Amnestie treffen nicht zu; einmal hat sich der Alte zur allgemeinen Überraschung wieder erholt und ist gesund wie ein Fisch im Wasser, dann hat der Kaiser mit der Amnestie nichts zu tun. Diese kann er nur als König v. Preussen für diesen Staat erlassen. Auch ist dergleichen in Deutschland für politische „Verbrecher“ nicht mehr üblich, höchstens für gemeine. Der alte König von Sachsen starb auch, während wir auf der Festung waren; begnadigt wurden Militärsträflinge und gemeine Verbrecher, die politischen Gefangenen gingen leer aus. Ebenso wartet man in diesem Augenblick in Bayern auf eine Amnestie vergeblich, wo eine Menge liberaler und ultramontaner Redakteure wegen der letzten Königsaffäre verurteilt wurden. Die deutsche Bourgeoisie und das deutsche Fürstentum haben nicht die noblen Regungen z.B. der Franzosen.

[…]

Im Innern verschlechtern sich die sozialen Zustände zusehends. Von allen Seiten werden Arbeiterentlassungen gemeldet; wir bekommen einen Winter so traurig, wie noch keiner war.

[…]

Dass unter solchen Umständen unsere Bourgeoisie sich ermannt und im Innern anders regiert, wenn sie einmal mehr Einfluss als heute hat, daran kann ich nicht glauben. Die Stagnation kann freilich nicht bleiben, aber sie kann sehr geraume Weile dauern, und die Friedhofsruhe, die das Sozialistengesetz auf der Oberfläche des politischen Lebens erzwingt, täuscht unsere Bourgeoisie. Sie hält die scheinbare Ruhe für Zufriedenheit, und bei ihrem eigenen hochgradigen Ruhebedürfnis wacht sie mit fanatischem Eifer, dass nichts ihre Ruhe stört.

Doch wir werden sehen, was das nächste Jahr bringt. Ich glaube, wir haben weit mehr Aussicht, nach unserer Haft in Sicherheitsgewahrsam auf eine unserer Festungen zu wandern, als dass diese Haft aus irgendeinem Grunde abgebrochen wird. Wie es kommt, so nehmen wir’s. Lebe wohl und halte Dich tapfer!

Gruss und Hand v. Deinem

A. Bebel

1883 fand in Kopenhagen der zweite illegale Parteitag der Sozialistischen Arbeiterpartei Deutschlands (der späteren SPD) statt. Wegen des Sozialistengesetzes konnte der Parteitag nicht in Deutschland abgehalten werden. Bei der Rückkehr aus Dänemark wurden August Bebel und andere Sozialdemokraten verhaftet und 1886 zu je neun Monaten Haft verurteilt.

Quellenangabe: August Bebels Briefwechsel mit Friedrich Engels, hg. von Werner Blumenberg, London, The Hague, Paris 1965, S. 299-301; die Abbildung zeigt August Bebel (geb. 1840) in den 1880er Jahren

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