Vor fast zwanzig Jahren hat der im Februar 33 Jahre alt gewordene Tom Schilling ernsthaft beschlossen, Schauspieler zu werden. Mit „Crazy", „Verschwende Deine Jugend“ und „Egoshooter“ wurde er schnell zum beliebten Nachwuchsstar. Er spielte Gastrollen in Fernsehserien, die Titelrolle in „Robert Zimmermann wundert sich über die Liebe“ und Adolf Hitler in „Mein Kampf“, ehe er unlängst mit dem Arthouse-Hit „Oh Boy“ und der preisgekrönten Fernsehreihe „Unsere Mütter, unsere Väter“ noch mehr Fans eroberte. Ab 26. März ist er in Oskar Roehlers „Tod den Hippies!! Es lebe der Punk!“ wieder im Kino zu sehen.
engels: Herr Schilling, wie in „Quellen des Lebens“ gibt es auch hier wieder autobiografisch geprägte Figuren. War es schwierig, das Alter Ego von Oskar Roehler zu spielen, während dieser Regie führte?
Tom Schilling: Am Ende des Tages nicht mehr, weil es gut funktioniert hat. Am Anfang hatte ich schon ein wenig Respekt vor der Aufgabe, aber Roehler hatte sich schon sehr genau überlegt, wer das spielen könnte. Er hat sich für mich entschieden, obwohl ich für die Rolle eigentlich sogar einen Tick zu alt bin. Er hat mir die Begeisterung für die Zeit, das Suchen und die Gier nach Leben zugetraut. Roehler ist auch kein Regisseur, der viel inszeniert, er leitet eher. Wenn sich herausgestellt hätte, dass es mit mir nicht funktioniert, dann hätte er mich wahrscheinlich ohne Umstände umbesetzt.
Er hatte also keine konkreten Vorstellungen, was Verhaltensmuster oder Gesten Ihrer Figur angeht?
Ich glaube, darum geht’s ihm nicht. Es geht ihm eher um eine innere Haltung, die stimmen muss, nicht um Manierismen, zumindest bei meiner Rolle nicht. Vielleicht war das bei Hannelore Hogers Figur anders.
Sie sagen, dass er Sie umbesetzt hätte, wenn es nicht funktioniert hätte. Gab es denn ein Casting für die Rolle?
Nein, es gab kein Casting. Roehler hatte mir das Buch geschickt. Als ich gelesen hatte, dass es in der Schulzeit beginnt, zuckte ich ein bisschen zusammen, denn ich habe genügend Coming-of-Age-Filme gemacht. Und ich empfand mich eben als ein bisschen zu alt für die Rolle, erkannte aber, dass das die besondere Aufgabe war, die hier auf mich zukam. Und für mich war das auch eine Art schöne Zeitreise, weil ich mich als Jugendlicher immer genau in diese Zeit und genau nach West-Berlin hineingeträumt habe. Insofern hatte ich etwas Vor-Bildung, und habe mir einStückweit einen Jugendtraum damit erfüllt. Roehler musste aber ein bisschen auf meine Entscheidung warten, weil ich mich des Alters wegen schwer getan habe.
Sie sind zu jung, um diese Zeit selbst erlebt zu haben. Woher kommt dann die Faszination, von Ihren Eltern?
Nein, von meinen Eltern überhaupt nicht (lacht). Ich bin in Berlin-Mitte aufgewachsen, also im Ostteil der Stadt. Meine Eltern hören Bob Dylan und Leonard Cohen, auch alles feine Musik, aber mit Punk hatten die nichts zu tun. Als ich zwölf war, also so um 1994 herum, habe ich durch Zufall meine erste Nick-Cave-Platte gehört. Das hat mich so weggeblasen, dass ich eine regelrechte Obsession zu dieser Zeit, zu dieser Art von Musik und zu dieser Subkultur entwickelt habe. Mit all diesen Bands, die beispielsweise auch in „Himmel über Berlin“ von Wim Wenders porträtiert werden, „Crime & The City Solution“ oder Blixa Bargeld, der im Film als Gott für diese Szene porträtiert wird, hab ich mich sehr intensiv beschäftigt, Bild- und Textmaterialien gesichtet und die alten Aufnahmen angehört. Das war meine eigene Subkultur. Und da war ich immer ein wenig traurig, dass ich 1982 nicht vierzehn, fünfzehn oder sechzehn Jahre alt war und in West-Berlin gelebt habe und das alles live miterleben konnte.
War denn jemand von den porträtierten Musikern, Nick Cave oder Blixa Bargeld, während der Dreharbeiten auch mal vor Ort?
Nein, vor Ort nicht. Ich denke, dass sich Oskar häufiger mit Blixa getroffen hat, und Blixa auch das Drehbuch kennt und es wohlwollend abgenickt hat. Alexander Scheer, der Blixa im Film porträtiert, hat sich auch mit ihm getroffen, und ich glaube, das sieht man im Film auch, denn das funktioniert doch sehr gut!
Sie haben hier bereits zum dritten Mal mit Oskar Roehler zusammengearbeitet. Hat sich diese Zusammenarbeit im Laufe der Jahre verändert?
Sie wird intensiver, weil ich größere Rollen bei ihm spiele. Es gibt einige Regisseure, die so treu sind, aber Oskar ist besonders treu und schöpft immer aus einem Ensemble aus Schauspielern, die ihn interessieren. Es gibt immer mal längere Phasen, in denen man nichts zusammen macht, aber wir kennen uns schon ewig, seitdem ich zwanzig bin oder so. Ich glaube, er fand mich immer schon irgendwie interessant, und jetzt ergeben sich für ihn mehr Möglichkeiten, mich zu besetzen als früher, als ich noch so jung war.
Es gibt im Film einige sehr provokante Szenen, wie die in der Wichskabine oder im Pflegeheim. Wie sind Sie denn während der Dreharbeiten an diese Szenen herangegangen – empfanden Sie die eher als lustig oder eklig?
Wenn ich so etwas drehe, habe ich dazu, offen gestanden, gar keine Meinung. Wenn ich für einen Film zusage und mich auf ihn einlasse, dann stelle ich mich immer in den Dienst der Sache und vertraue der Vision des Regisseurs. Denn eigentlich gibt es nur einen Chef beim Film, und das ist der Regisseur. Bei einem schlechten Film war der Chef nicht wirklich präsent. Da frage ich mich dann gar nicht, ob etwas eklig ist oder warum man etwas zeigen muss, ob ich etwas genauso empfinde oder mich damit identifizieren kann – solche Fragen blende ich total aus. Ich bin da in einer Art Tunnel und würde fast alles machen beim Drehen.
Anfang der 80er Jahre hatte Berlin eine sogartige Wirkung auf alle, die künstlerisch aktiv sein wollten. Glauben Sie, dass Berlin heute wieder in einer ähnlichen Situation wie damals ist?
Ja, ich glaube dieses Gefühl oder diese Sogwirkung Berlins auf Freigeister oder Kreative oder die Bohème war schon immer da. Diese Stadt entwickelt sich auf eine merkwürdige Art und Weise immer weiter, ohne sich selbst zu verraten und bleibt sich dabei immer treu. In Berlin-Mitte habe ich auch nach dem Mauerfall noch gewohnt, und da war das immer höchst lebendig. Insbesondere was Kultur, die Ausgehszene und die Musik betrifft. Vielleicht liegt es an der Geschichtsträchtigkeit der Stadt, sicherlich auch am vergleichsweise niedrigen Mietpreisniveau. Irgendwie ist Berlin die Stadt für Leute, die sich ausprobieren wollen. Hier ist vieles erlaubt, aber ich kann da nicht mehr richtig mitreden, weil ich ein alteingesessener Berliner bin. Leute, die nicht aus Berlin kommen, können die Stadt wahrscheinlich viel besser beschreiben als ich.
Wie hat sich denn Ihr Leben und Ihre Karriere nach „Oh Boy“ und „Unsere Mütter, unsere Väter“ verändert, die Ihnen sicherlich noch einmal einen gehörigen Popularitätsboom beschert haben?
Ja, ich bekomme seitdem deutlich mehr Angebote. Das ist merkwürdig, denn es gibt viele gute Schauspieler, von denen viele nicht so oft zum Einsatz kommen, wie sie es verdient hätten. Aber wenn man angesagt ist, bekommt man auch mehr Drehbücher zugeschickt. Ob die zu einem passen, spielt dabei manchmal gar keine Rolle. Manchmal will man einfach jemanden besetzen, der gerade populär ist. Das kann natürlich morgen schon wieder jemand anderes sein, was mich dann traurig macht, wenn ich weniger zugeschickt bekomme. Aber für mich ist das auch eine Chance, weil ich von den zugeschickten Büchern hoffentlich die besten für mich herausziehen kann, dass im Jahr ein oder zwei Rollen dabei sind, die mir dabei helfen, mein Standing zu behalten. Man hat immer ganz gut über mich geschrieben, was sich natürlich besser anfühlt, als das Gegenteil. Aber daraus erwächst für mich auch die Verantwortung, dieses Niveau zu halten, was gar nicht so einfach ist.
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