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Denkt über sich und seine Beziehung nach: Jonas Dassler in „Aus meiner Haut“.
Foto: Presse

„Einen Körpertausch würde ich nicht gerne machen“

31. Januar 2023

Jonas Dassler über „Aus meiner Haut“ – Roter Teppich 02/23

Einem breiten Publikum wurde der 1996 in Remscheid geborene Jonas Dassler im Jahr 2018 bekannt, als er eine der Hauptrollen in Lars Kraumes „Das schweigende Klassenzimmer“ übernahm – und dafür mit dem Nachwuchspreis des Bayerischen Filmpreises ausgezeichnet wurde. Auch seine Interpretation des Serienmörders Fritz Honka in Fatih Akins „Der goldene Handschuh“ brachte ihm ein Jahr später begeisterte Kritiken ein. Nachdem er zuletzt in „Mein Sohn“ an der Seite von Anke Engelke im Kino zu sehen war, folgt nun Alex Schaads Langfilmdebüt „Aus meiner Haut“, das ab dem 2. Februar auf der großen Leinwand zu sehen ist.

engels: Herr Dassler, „Aus meiner Haut“ ist meiner Meinung nach eine spannende Mischung aus Sozialstudie, Beziehungsdrama und esoterischer Science-Fiction. Was hat Sie an dem Stoff besonders gereizt?

Jonas Dassler: Ich glaube, genau dieser Mix, den Sie eben beschrieben haben. So ein Drehbuch hatte ich zuvor noch nicht gelesen. Es ist der Versuch, ein Charakterdrama zu erzählen mit diesem Experiment des Körpertausches, sich gleichzeitig in eine Form der Science-Fiction zu wagen, und sich dabei auch dem Humor nicht zu versperren. Das war für mich ein sehr interessantes Wagnis, das mich sehr gereizt hat.

Außerdem ist es sicherlich ein gefundenes Fressen für einen Schauspieler, wenn man in einem Film gleich mehrere Figuren spielen kann…

Das war tatsächlich auch für mich eines der Hauptargumente. Dimitrij und Alex Schaad (die Drehbuchautoren; die Red.) und ich sind schon sehr früh zusammengekommen, ich glaube, das war schon drei Jahre, bevor das Projekt realisiert wurde, und für uns alle war das ein sehr wichtiger Aspekt des Stoffes. Dimi war damals mein Dozent an der Schauspielschule, und später haben wir dann gemeinsam am Maxim-Gorki-Theater gespielt. Es hat uns sehr gereizt, in einen Spielfilm einen derart theatralischen Aspekt hineinzubringen, denn eigentlich ist das ja nur eine Spielverabredung – ich bin du, und du bist ich (lacht). Das auszuprobieren, wie so etwas geht, war überaus spannend. Bleiben wir als Schauspieler so, wie wir sind, d.h. sehr nah an uns selbst, unseren Körperlichkeiten und fangen wir an, das zu kopieren? Oder entwerfen wir so etwas wie ikonografische Figuren und kopieren diese dann? Aber jeder Schauspieler und jede Schauspielerin bereitet sich anders vor, also muss man versuchen, den emotionalen Bogen des anderen weiterzuspielen, das bedarf einer ziemlichen Ego-Befreitheit. Ich fand es sehr berührend, diesen Staffelstab einer Figur dann beim eigentlichen Dreh immer weiterzugeben, das war eine tolle Aufgabe.

Dazu war auch sicherlich notwendig, Gesten und Verhaltensweisen einer Figur miteinander abzustimmen, damit diese wiedererkennbar bleibt…

Ich bin etwas ängstlich, wenn ich anfangen muss, von außen zu arbeiten und mir zunächst eine Körperlichkeit für eine Figur zu überlegen. Es muss aus der Figur heraus stimmig sein. Das versuche ich auch immer mit einer inneren Biografie der Rolle zu verbinden, damit es nicht wahllos erscheint. Wir haben das bei jeder Figur unterschiedlich entwickelt, manche kamen von innen nach außen, manche wurden von außen nach innen gearbeitet. Trotz dieses Science-Fiction-Elements, dieser Spielverabredung, war es unser Ziel, so naturalistisch und real wie möglich zu bleiben.

War es besonders spannend, gemeinsam mit dem Co-Autor Dimitrij Schaad dessen Figuren vor der Kamera darzustellen?

Ja, das hat natürlich zu noch mehr Verwirrung im Kopf geführt, denn es gab dabei so viele Layer. Es bedurfte einer hohen Konzentration, und gleichzeitig musste man von der Tatsache loslassen, dass die Figuren von Dimi und Alex geschrieben worden waren. Aber wir haben so viel geprobt und so viel mitgearbeitet, dass es sich irgendwann gar nicht mehr nach Fremdtexten anfühlte. Den beiden war es von Anfang an sehr wichtig, uns in den großen Entstehungsprozess mit zu integrieren.

Die Figuren entwickeln sich dann auch sehr spannend, der machohafte Mo küsst plötzlich einen anderen Mann. Was sagt das über Männlichkeit aus?

Ich tue mich bei diesem Film generell schwer, einzelnen Szenen oder Aspekten eine bestimmte Bedeutung oder Aussage zuzuschreiben. Wie wir bei ersten Vorstellungen des Films in Venedig gesehen haben, löst er unglaublich viele verschiedene Reaktionen aus und bringt viele verschiedene Themen hervor. Ein Kern dessen, was mich damals an dem Drehbuch so sehr berührt hat, war die Tatsache, dass er sich dem Thema Geschlechtsidentität annimmt, ohne dabei in einen Diskurs zu verfallen. Das geht hier einfach aus den Figuren und aus dem Science-Fiction-Element hervor. Ich fand das sehr berührend, weil er damit rauszoomt aus dem Sumpf, in dem wir in dieser Welt gerade stecken. Leute haben ein Problem damit, dass es so etwas wie ein „drittes Geschlecht“ gibt, und regen sich über den „Gender-Wahnsinn“ auf. So etwas geht mir total auf den Senkel. Queerness bricht die Binarität der Geschlechter auf, sagt, dass es mehr gibt als männlich und weiblich, sowohl bezogen auf das Geschlecht als auch auf die Geschlechtsidentität. Ich verstehe, dass das Menschen Angst machen kann, aber gleichzeitig leben wir noch in einer Welt, in der Menschen, die genau das leben wollen, verfolgt und ermordet werden. Das Filmteam, wir Schauspieler:innen und Macher:innen, die sich alle mit ihrem jeweiligen Geschlecht identifizieren, haben sich hier dieses Themas angenommen, ohne diese Queerness in ihrer unterdrückten Form zu problematisieren. Stattdessen haben wir die Handlung auf einer Insel angesiedelt, in einer anderen Welt, und lassen das alles aus der Geschichte eines Körpertauschs heraus passieren. Ich hätte nie damit gerechnet, dass wir dafür am Ende in Venedig den Queer Lion Award bekommen. Es hat mich sehr berührt, dass ihn eine Jury aus queeren Menschen als wichtigen Beitrag für sich und ihre Belange ausgezeichnet hat.

Ich fand es auch sehr überzeugend, wie ganz beiläufig die These aufgestellt wird, dass man Menschen liebt, und nicht Geschlechter…

Ja, das stimmt, und ich finde es auch sehr interessant, dass der Diskurs zum Film mittlerweile in diese Richtung geht. Für mich war beim Lesen des Drehbuchs das Thema Depression viel präsenter. Aber mittlerweile habe ich in diversen Gesprächen zum Film natürlich auch erkannt, wie viel dieser über Geschlechtsidentitäten aussagt. Mein erster Ansatzpunkt war hingegen die Schilderung, was passiert in einem Körper, wenn ein Mensch unter einer Depression leidet. Was heißt diese Diagnose Depression überhaupt?

Sie haben generell eine Offenheit gegenüber Homosexualität, haben beispielsweise am Theater in Falk Richters „In My Room“ eine dezidiert schwule Figur gespielt. Ist das für Sie einfach spannend oder wollen Sie durch die mediale Präsenz dazu beitragen, dass das Thema normaler wird?

Meiner Meinung nach gibt es kein „normal“ (lacht). Das war jetzt keine absichtliche Entscheidung. Viele meiner Freund:innen sind non-binär, bisexuell, homosexuell. Mein Zusammentreffen mit Falk war eher Zufall, aber für mich war es auch Glück, mit ihm zusammenarbeiten zu dürfen. Meine Jugend ist sehr heterosexuell und binär verlaufen, mein ganzes Umfeld war so geprägt. Als ich aufgewachsen bin, war „schwul“ auf dem Schulhof noch eine Beleidigung, aber das ist wohl auch heute noch so. Für mich war es ein Geschenk, mich in meiner privilegierten Situation mit diesen Menschen und diesen Themen auseinandersetzen zu dürfen. Ich kann, wenn ich darauf angesprochen werde, nur sagen, dass in der Queerness die größte Revolution für unsere Welt liegt, da in ihr alle wichtigen Themen verhandelt werden: Es geht darum, alle Binaritäten und alle Normative aufzubrechen. Es wird darin alles hinterfragt, unsere Sexualität, unsere Identität, unsere Identität als Staat, als Europa und als Welt. Wir müssen unser aktuelles Verhalten verändern, und das steckt für mich alles in dem Begriff von Queerness. Zunächst war auch das eine Beleidigung, aber die Menschen haben sich den Begriff angeeignet, d.h. wir stehen auf den Schultern von Leuten, die für ihre eigenen Rechte und für ihr Überleben gekämpft haben. Ich glaube, dass wir mehr sind als nur Mann und Frau, ein Deutscher oder eine Deutsche, ein Franzose oder ein Amerikaner… Wir müssen anfangen, diese ganzen Klassifizierungen über Bord zu werfen, denn für mich liegt darin eine Wahrheit, nicht nur in sexueller Form. Wir müssen auch das Verhältnis, das wir zu unserer Erde haben, überdenken, um das Ganze mal weiterzuspinnen…

Durch den Körpertausch im Film lernen die Figuren den anderen auch besser verstehen. Hätten Sie auch mal Lust, sich in einen anderen hineinversetzen zu können, um diesen besser zu verstehen?

Körpertausch würde ich nicht gerne machen wollen, denn ich bin zufrieden in meinem Körper, und ich bin auch zufrieden in meiner Unsicherheit. Das Leben ist sowieso jeden Tag neu und verändert. Was würden wir denn dadurch mehr verstehen? Müssen wir denn alles verstehen? Ist es denn nicht die größere Leistung, ohne im Körper des anderen drin zu sein, diesen auf empathische Weise zu verstehen? Ich glaube, ein Verstehen des anderen funktioniert nur, wenn man anfängt, sich selbst zu verstehen. Man muss sich mit sich selbst auseinandersetzen. Ich glaube, wenn ich mit jemandem den Körper tauschen würde, würde ich dabei auch viel mehr über mich selbst erfahren als über den anderen. Ich glaube, es ist ganz gut, dass wir in einer Welt leben, in der Körpertausch nicht möglich ist. Und es ist gut, dass wir mit Filmen dieses Gedankenexperiment gehen können.

Interview: Frank Brenner

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