Geht's in den Urlaub, vertraut man bei der Lektüre gern auf Altbewährtes. Da können die Herren Kritiker und Rezensenten ihre literarischen Entdeckungen noch so anpreisen. Sicher ist sicher. Wer sein Ebook nicht den Erosionskräften Wind/Wasser/Sonne aussetzen will und/oder lieber auf nach Druckerschwärze duftende Printerzeugnisse baut, wird einen Teufel tun, die heutigen Übergewichtszuschläge in Kauf zu nehmen und ein belletristisches Wagnis eingehen, sondern lieber auf positive Erfahrungen respektive klangvolle Namen vertrauen (drum an dieser Stelle auch nur Paperbacks). Doch Obacht, bisweilen erweisen sich selbst diese als Schall und Rauch.
Zumindest bei George Pelecanos' erstem Teil seiner Krimiserie um den Spürhund Spero Lucas sollte man Vorsicht walten lassen; zumindest Freunde actiongeladener Crime Stories, die direkt zur Sache kommen. Aber wie gesagt: Es handelt sich um einen Serienauftakt, und so nimmt sich der Amerikaner hellenischer Vorfahren in „Ein schmutziges Geschäft“ (rowohlt) viel Zeit, seine Charaktere liebevoll einzuführen, ehe die eigentliche Geschichte um ein abhandengekommenes Marihuana-Päckchen, den dazugehörigen einsitzenden Drogenboss und den mit dem Fund einhergehenden Verwicklungen tatsächlich ins Rollen kommt.
Dass auch Elmore Leonard nicht immer nur Grandioses fabriziert, musste unsereins mit „Dschibuti“ (s. Wortwahl 02/12) goutieren. Definitiv brillant auf überraschende Wendungen und kühle Spannungsmomente hingetrieben, minimalistisch im Duktus ist hingegen „Out of Sight“ (suhrkamp): die aberwitzige Crime‘n‘Love-Beziehung zwischen der Bankräuberlegende Jack Foley und dem Deputy US Marshall Karen Sisco, die in ihrem wilden Tanz an den Paarungsakt zwischen Kater und Katze erinnert, bei dem die Katze dem Kater nach dem Paarungsakt ordentlich eine verpasst, weil sein Geschlechtsteil schmerzhafte Widerhaken besitzt, die ihre – pardon – Muschi anregen sollen.
Ganz anders wiederum Bodo Kirchhoff, der mit seinem „Schundroman“ bewiesen hat, dass er ebenfalls famose Pulpliteratur zu Papier bringen kann, mit „Eros und Asche“ (dtv) allerdings einer mehr oder minder typischen Männerfreundschaft ein sensibles Denkmal gesetzt hat – in allen Nähen und Distanzierungen, wie sie das irdische Schicksal in seiner subjektiven Erfahrung und Auslebung schreibt; bis hin zum vermeintlich zu frühen Tod, an dem sich die Zwischenmenschlichkeit wie in einem Prisma bricht. Gnadenlos ehrlich, aufrichtig in all seinen Höhen und Tiefen und entsprechend 'schlicht und einfach' traurig-schön.
Als vermeintlich grelles Kontrastprogramm sei im Anschluss „Schlechtes Chili“ (DuMont) von Joe R. Landsdale empfohlen, das beileibe nur oberflächlich als markig-zotige Krimigroteske um einen seit einer Eichhörnchen-Attacke 'tollwütigen' Taugenichts, der seinem schwulen Heavy-Weight-Bouncer-Nigger-Buddy aus der Patsche helfen muss, daherkommt. Krachend schwarz-komischer Splatter, den der Countrypunkoutlaw der US-Literaturszene in seiner hinterhältig-bärbeißigen Gesellschaftskritik nicht umsonst dem hierzulande vielleicht sogar bekannteren „Bruder Andrew Vacchs, Krieger“ gewidmet hat, der als Anwalt wie als Romancier auf beeindruckend empathische Weise seit jeher gegen psycho-sexuelle Übergriffigkeiten gegenüber Kindern ankämpft.
Nichtsdestotrotz heißt Reisen auch immer Entdecken, weswegen zum krönenden Abschluss doch noch eine außerordentliche Erstveröffentlichung erwähnt sei – von keinem Geringeren als Singer/Songwriter/Producer Ry Cooder, der nicht nur den Stones die Slide-Guitar beigebracht, sondern auch den Buena Vista Social Club produziert und Wim Wenders' „Paris, Texas“ unvergessliche Atmo eingehaucht hat. Mit beeindruckender Sensibilität, Achtsamkeit und Ausdrucksstärke hat der nunmehr 65Jährige „In den Straßen von Los Angeles“ (Tiamat) ein kleines Prosaskizzenkompendium zusammengetragen, dessen Eröffnung bereits als metaphorischer Reisewegweiser taugt: „Ich bin nur einer von vielen. Unsere Aufgabe ist es, rauszugehen und die Fakten einzusammeln.“
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