Komponist Jonathan Dove und Librettist Charles Hart werfen einen satirischen Blick auf das Leben von Karl Marx während seines Exils in London, wohin der politisch Verfolgte 1850 flüchtete und bis zu seinem Tod im Jahr 1883 lebte. Nicht der politische Kampf, sondern der häusliche Alltag des Philosophen und Gesellschaftstheoretikers dient als Stoff für diese Komödie um Menschlich- Allzumenschliches.
Jenseits seines politischen Denkens zeigt sich der Revolutionär als Schwerenöter, Schuldenmacher und trinkfester Saufbruder. Marx‘ Ehefrau Jenny macht ihm Vorwürfe wegen der Schulden, seine jüngste Tochter Eleanor verfolgt ihn mit Neugier. Helene Demuth, seine Haushälterin, mit der er einen unehelichen Sohn hat, lässt ihn abblitzen, und sein alter Weggefährte und Finanzier Friedrich Engels muss wieder einmal alles richten. Eine Personenkonstellation die viel komödiantisches Konflikt- und Verwirrungspotential birgt, zumal der unverheiratete Engels Marx seit Jahren vor einem Skandal schützt, indem er vorgibt der Vater von Marx‘ unehelichem Sohn Freddy zu sein – gegen besseres Wissen hielt die sowjetische Geschichtsforschung im 20. Jahrhundert an der Vaterschaft Engels fest, um Marx nicht zu diskreditieren.
Die Komödienhandlung beschreibt fiktiv einen Tag im Leben des Philosophen: Der 14. August 1871 beginnt nicht gut für Karl Marx. Er verliert eine Schachpartie gegen Helene, das Mobiliar wird wegen der ausstehenden Schulden gepfändet und abtransportiert, schließlich steht auch noch sein inzwischen 18-jähriger Freddy vor der Tür und will herausfinden, wer wirklich sein Vater ist. Um das Tohuwabohu komplett zu machen, verfolgt Eleanor den Halbbruder mit neugieriger Liebeswut...Am Ende dieses tollen Tages geht natürlich alles gut aus, und das utopische Ende der Komödie korrigiert die historische Wirklichkeit: Freddy wird in die Familie aufgenommen, die Schulden sind beglichen, man lässt es sich beim Picknick im Grünen gut gehen und schaut zuversichtlich in die Zukunft – es gibt noch viel zu tun, verschieben wir es auf morgen.
Dove, mit seinen eingängigen Opern, theatralisch effektvoll komponiert, erfreut in England ein großes Publikum. Mehr als 20 Bühnenwerke hat der 59-Jährige bisher geschrieben. Ein tiefes Verständnis für Gesang und Musiktheater entwickelte Dove während seiner Tätigkeit als Korrepetitor, Liedbegleiter und Arrangeur in jungen Jahren. Oper und Stimme faszinierten ihn und wurden zentral für sein Schaffen als Komponist. Das Gespür für Themen und Stoffe, die auf ein breiteres Interesse stoßen, sichern seinen Werken Aufmerksamkeit in der Öffentlichkeit: Seine Flughafenoper „Flight“, die burlesk die Geschichten von einzelnen Fluggästen miteinander verknüpft, brachte ihm 1998 beim Glyndebourne Festival den Durchbruch, seine Fernsehoper „When She Died...Death Of A Princess“ zum fünften Todestag von Lady Di erreichte ein Millionenpublikum.
Nun darf man gespannt sein, wie es Dove und seinem Librettisten Charles Hart gelingt, in ihrer Farce Karl Marx vom Sockel der Geschichte auf die Bühne des Lebens zu stoßen – der große Denker als kleiner Mensch, gefangen in seinen Begierden und Unzulänglichkeiten.
„Marx in London“ | R: Jürgen R. Weber | 9.(UA), 12., 22., 28.12., 12.1. je 19.30 Uhr, 20.1. 18 Uhr | Oper Bonn | 0228 77 80 08
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