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Carlus Padrissa (La Fura dels Baus), Regisseur der neuen Kölner Inszenierung
Foto: Paul Leclaire

Die Sprengkraft der Oper

29. März 2018

„Die Soldaten“ von Bernd Alois Zimmermann – Opernzeit 04/18

Die Uraufführung dieses Meilensteins des modernen Musiktheaters lehnte die Kölner Oper 1960 als unspielbar ab. Erst unter einer neuen Intendanz kamen „Die Soldaten“ fünf Jahre später zur Aufführung und traten ihren Siegeszug an. Nach dem künstlerischen Vakuum in der NS-Zeit knüpft der Kölner Komponist Zimmermann an innovative Konzeptionen der zwanziger Jahre an, um seine „pluralistische Form des Musiktheaters“ (Zimmermann) zu realisieren. Gemeint ist die Konzentration aller theatralischer Formen an einer eigens dafür geschaffenen omni-mobilen Raumbühne, die die klassische Guckkastensituation aufhebt: Der Zuschauer sitzt dem Geschehen nicht frontal gegenüber, sondern ist gestaffelt oder ringförmig mitten im Geschehen platziert, das sich simultan und sukzessive auf verschiedenen Spielflächen ereignet. Kipp-, Dreh- und Liegesitze ermöglichen dem Zuschauer Perspektiven zu wechseln, um dem Spiel folgen zu können. Bildende Kunst, Musik-, Sprech- und Tanztheater, Zirkus, Musical, aber auch technische Medien wie Film und Fernsehen werden zusammengeführt. Polystilistik prägt die musikalischen Ausdrucksmittel: Sprechen, Singen, Schreien, Flüstern, gregorianischer Gesang, Jazz und serielle Kompositionsmethoden. Für Zimmermann soll das Theater kein Stadttheater mehr sein, sondern eine komplexe „Theater-Stadt“, ein „Weltraumschiff des Geistes“, ein Ort geistiger und kultureller Freiheit, „ein elementarster Ort der Begegnung im weitesten Umfang“ – totales Theater.

Das Sturm-und-Drang-Schauspiel von Jakob Michael Reinhard Lenz aus dem Jahr 1775, auf das der Komponist zurückgreift, steht im scharfen Gegensatz zur klassizistischen Regelpoetik. Die Einheit von Zeit, Ort und äußerer Handlung ist aufgehoben, das Geschehen springt von Ort zu Ort, die zeitlichen Abstände der Szenen verdichten sich zur Simultanität. Zimmermann fand hier seine Konzeption von der „Kugelgestalt der Zeit“ widergespiegelt: Der Mensch nimmt die Zeit weniger sukzessiv als simultan wahr, die Gedanken an Vergangenes, Gegenwärtiges und Zukünftiges fließen in den Augenblick ein und heben die lineare Zeitrechnung in der geistigen Wirklichkeit des Menschen auf. An dieser zeitlichen Vielschichtigkeit lehnt sich die pluralistische Kompositionstechnik an.

Filmschnittartig stehen die Szenen über den Niedergang eines Bürgermädchens nebeneinander: Marie wird von einem Offizier verführt, fallen gelassen und im Soldatenmilieu nach unten weitergereicht, bis sie als Hure auf der Straße endet. Lenz nannte das Stück eine Komödie, weil nicht der individuelle Charakter Maries sie scheitern lässt, sondern das Kollektiv: der Ehrgeiz des gewissenlosen Vaters und die verrohten Soldaten. Zimmermann, 1918 geboren, hatte als Soldat im Zweiten Weltkrieg sowohl an der West- als auch der Ostfront gekämpft und miterlebt, „wie alle Personen unentrinnbar in eine Zwangssituation geraten, unschuldig mehr als schuldig ...“ Die eigene Erfahrung des Grauens verband er mit einem Text, der weniger den Krieg als den Soldatenstand und die (Selbst-)Zerstörungskraft der Menschen fokussiert. „Zeit: gestern, heute und morgen“, hat er der Partitur vorangestellt, am Ende fordert er eine Filmeinblendung: die „Wolke des Atompilzes“.

Wo zu sehen in NRW?

Oper Köln im Staatenhaus | R: Carlus Padrissa | 29.4.(P), 3.,11., 17.5. 19.30 Uhr, 13.5. 16 Uhr, 20.5. 18 Uhr | 0221 221 28 400

Kerstin Maria Pöhler

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